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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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das Hundegitter unbehelligt hinter sich, da die Behörden ihn kannten. Harv näherte sich ihm mit förmlicher Haltung, räusperte Schleim beiseite und schickte sich an, eine Erklärung und eine Bitte auszusprechen. Aber Brad ließ nur einen flüchtigen Blick über Harv gleiten, sah Nell an, bewunderte sie einen Moment und wandte sich verschmitzt ab. Der Urteilsspruch lautete, daß sie die Nacht über bleiben konnten, aber alles andere von rechtlichen Fragen abhinge, auf die er keinen Einfluß hätte.
    »Hast du irgendwas getan, das die Polizei von Shanghai interessant finden könnte?« wandte sich Brad ernst an Harv. Harv sagte nein, ein einfaches Nein ohne die üblichen Einschränkungen, Vorbehalte und Zusätze.
    Nell wollte Brad alles erzählen. Aber ihr war aufgefallen, daß Peter in der Fibel, wenn ihm jemand eine direkte Frage stellte, immer log.
    »Wenn ihr unsere grünen Wiesen und großen Häuser seht, denkt ihr vielleicht, wir befinden uns auf dem Grund und Boden von Atlantis«, sagte Brad, »aber wir unterstehen wie alle anderen Leasing-Parzellen der Gerichtsbarkeit von Shanghai. Normalerweise kommt die Polizei von Shanghai nicht hierher, weil wir ein friedliches Volk sind und wir gewisse Vereinbarungen mit ihnen getroffen haben. Aber wenn bekannt würde, daß wir flüchtigen Bandenmitgliedern Unterschlupf gewähren –«
    »Das reicht«, stieß Harv hervor. Es wurde deutlich, daß er sich alles schon am Flußufer ausgedacht hatte und nur darauf wartete, daß die Erwachsenen seine logischen Schlußfolgerungen nachvollzogen. Ehe Nell begriff, was vor sich ging, kam er zu ihr, umarmte sie und gab ihr einen Kuß auf den Mund. Dann drehte er sich um und lief die grüne Wiese hinab Richtung Meer. Nell lief ihm hinterher, konnte aber nicht Schritt halten, und schließlich fiel sie in einem Beet mit Glockenblumen hin und sah ihm durch einen Tränenschleier nach, wie er verschwand. Als sie ihn nicht mehr sehen konnte, richtete sie sich schluchzend auf, und es dauerte nicht lange, da kam Rita, nahm sie in ihre kräftigen Arme und trug sie langsam über die Wiese zurück zur Mühle, wo sich das Rad unablässig drehte.
     

Waisenkinder der Han kommen in den Genuß der Vorzüge moderner Bildungstechnologie;
Richter Fang sinnt über die Grundsätze des Konfuzianismus nach.
    Die Waisenschiffe verfügten über eingebaute MaterieCompiler, doch die konnten natürlich nicht mit Sources verbunden werden. Statt dessen bezogen sie ihre Materievorräte aus würfelförmigen Containern, gleichsam Tanks voller Atome in präziser Anordnung. Diese Container konnten mit Kranen an Bord gebracht werden und wurden auf dieselbe Weise mit den MaterieCompilern verbunden wie Feederleitungen an Land. Die Schiffe liefen ab und zu Shanghai an, löschten leere Container und nahmen neue an Bord - ihre hungrigen Passagiere wurden fast ausschließlich mit synthetischem Reis ernährt, den die MaterieCompiler erzeugten.
    Mittlerweile waren es sieben Schiffe. Die ersten fünf waren nach den fünf Tugenden des Meisters benannt worden, und danach nannten sie sie nach bedeutenden Konfuzianischen Philosophen. Richter Fang, der das MC-Programm persönlich in seinem Ärmel trug, flog zu demjenigen hinaus, das (so gut man es im Englischen wiedergeben konnte)
Großzügigkeit der Seele
hieß. Es handelte sich um eben das Schiff, das er an jenem schicksalsträchtigen Abend seiner Bootsfahrt mit Dr. X besucht hatte, und seither fühlte er sich den fünfzigtausend kleinen Mäusen an Bord enger verbunden als der restlichen Viertelmillion auf den anderen Schiffen.
    Das Programm war so geschrieben, daß es in einem geräumigen Compiler funktionierte, der bei jedem Zyklus Dutzende Fibeln ausstoßen konnte. Als der erste Schwung fertig war, nahm Richter Fang einen der neuen Bände in die Hand, begutachtete den Einband, der die Beschaffenheit von marmorierter Jade hatte, blätterte die Seiten durch, bewunderte die Illustrationen und unterzog die Kalligraphie einer kritischen Begutachtung.
    Dann trug er das Buch durch einen Korridor in ein Spielzimmer, wo ein paar hundert der kleinen Mäuse herumliefen und Dampf abließen. Er lenkte die Aufmerksamkeit eines kleinen Mädchens auf sich und winkte sie zu sich. Sie kam widerstrebend, von einer energischen Lehrerin geführt, die abwechselnd dem Mädchen zulächelte und sich vor Richter Fang verneigte.
    Er ging in die Hocke, damit er dem Mädchen in die Augen sehen konnte, und gab ihr das Buch. Für das Buch interessierte

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