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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Rationalisten wie John Percival Hackworth, seine Familie und Freunde.
    Kurz nachdem sie das Aerodrom passiert hatten, kamen sie zum Stanley Park, eine unversehrte, mehrere Meilen umfassende Halbinsel, die, Gott sei Dank, dem Protokoll unterstellt und weitgehend so erhalten geblieben war, wie sie früher ausgesehen hatte, mit denselben Douglasien und moosbewachsenen roten Zedern, die seit Ewigkeiten hier wuchsen. Hackworth war schon einige Male hier gewesen und erinnerte sich vage an die Einteilung: Restaurants hier und da, Wanderwege am Strand entlang, ein Zoo und ein Aquarium, öffentliche Spielplätze.
    Kidnapper nahm ihn mit auf einen hübschen Ausritt an einem Kiesstrand entlang, dann erklomm er, etwas unerwartet, einen Hang, wofür er sich einer Gangart bediente, deren kein richtiges Pferd fähig gewesen wäre. Seine Beine wurden kürzer, und er krallte sich wie ein Berglöwe sicheren Fußes die fünfundvierzig Grad steile Steigung hinauf. Ein erschreckend schneller Zickzacksprint durch ein Fichtenwäldchen brachte sie auf eine grasbewachsene Lichtung.
    Dort bremste Kidnapper in eine langsam schreitende Gangart, als wäre er ein richtiges Pferd, das sich auch einmal ausruhen mußte, und brachte Hackworth zu einem Halbkreis alter Totempfähle.
    Dort erwartete ihn eine junge Frau, die mit hinter dem Rücken verschränkten Händen vor einem der Totempfähle stand, was ihr ein bezaubernd altjüngferliches Aussehen verliehen hätte, wäre sie nicht splitterfasernackt und am ganzen Körper mit sich dauernd verändernden mediatronischen Tätowierungen übersät gewesen. Sogar ihr Haar, das ihr bis zur Taille reichte, war mit irgendwelchen Nanositen behandelt worden, so daß die Farbe jeder Strähne von Stelle zu Stelle fluktuierte – ein Muster, das Hackworth auf den ersten Blick nicht erkennen konnte. Sie betrachtete die Schnitzereien eines Totempfahls intensiv, aber offenbar nicht zum erstenmal, denn ihre Tätowierungen waren in demselben Stil angefertigt worden.
    Die Frau studierte einen Totempfahl, der von der Abbildung eines Killerwales beansprucht wurde, Kopf nach unten, Schwanz in die Höhe; die Schwanzflosse ragte horizontal aus dem Pfahl heraus und war offenbar aus einem anderen Holz geschnitzt worden. Um das Nasenloch des Wals war ein menschliches Gesicht geschnitzt worden. Der Mund des Gesichts und das Nasenloch waren identisch. Diese promiskuitive Mißachtung von Gattungsunterschieden schien das vorherrschende Merkmal der Totempfähle wie auch der Tätowierungen der Frau zu sein: Die aufgerissenen Augen eines Bären waren gleichzeitig die Gesichter anderer Tiere. Der Nabel der Frau bildete ebenfalls den Mund eines menschlichen Gesichts, ganz wie beim Nasenloch des Killerwals, und manchmal wurde das Gesicht zum Mund eines größeren Gesichts, dessen Augen ihre Brustwarzen bildeten und dessen Ziegenbärtchen ihr Schamhaar. Aber kaum hatte er ein Muster erkannt, verwandelte es sich in etwas anderes, denn im Gegensatz zu den Totempfählen, waren die Tätowierungen dynamisch und spielten auf dieselbe Weise mit Bildern in der Zeit, wie es die Totempfähle im Raum taten.
    »Hallo, John«, sagte sie. »Zu schade, daß ich dich geliebt habe, weil du gehen mußtest.«
    Hackworth versuchte, ihr Gesicht zu finden, was ihm problemlos hätte gelingen müssen, da ihr Gesicht sich an der Vorderseite des Kopfes befand; aber sein Blick wurde immer wieder von allen anderen kleinen Gesichtern abgelenkt, die kamen und gingen, miteinander verschmolzen und dabei vorübergehend ihre Augen, ihren Mund, sogar ihre Nasenlöcher für sich beanspruchten. Und nun erkannte er auch Muster in ihrem Haar, was ihn völlig überforderte. Er war ziemlich sicher, daß er gerade flüchtig Fiona darin erblickt hatte.
    Sie wandte ihm den Rücken zu, ihr Haar breitete sich einen Moment fächerförmig aus wie ein schwingender Rock, und in diesem Augenblick konnte er hindurchsehen und einen Sinn in dem Bild erkennen. Er war ganz sicher, daß er Gwen und Fiona darin gesehen hatte, die an einem Strand spazierengingen.
    Er stieg von Kidnapper ab und folgte ihr zu Fuß. Kidnapper folgte ihm lautlos. Sie gingen etwa eine halbe Meile durch den Park, und Hackworth wahrte Distanz, denn wenn er sich ihr zu sehr näherte, verwirrten die Bilder in ihrem Haar seine Augen. Sie führte ihn zu einem naturbelassenen Strandabschnitt, wo die Stämme riesiger Douglasfichten herumlagen. Wenn Hackworth über die Stämme kletterte und versuchte, mit der Frau Schritt zu

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