Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
wurden. Darüber trug sie einen sehr weiten irischen Fischerpullover mit hochgekrempelten und mit Sicherheitsnadeln festgesteckten Ärmeln, die einen dichten wollenen Wulst um beide sommersprossigen Unterarme bildeten, ein Motiv, das seine Entsprechung in zahlreichen billigen Silberreifen an ihren Handgelenken fand. Sie murmelte etwas in Richtung ihres Pferdes, einer Appaloosa-Mähre, die bereits den Kopf gesenkt hatte und an dem enttäuschend kurz geschnittenen Gras innerhalb des Zauns knabberte, wobei sie nach einem oder zwei Halmen suchten, die nicht von den beflissenen Corgis markiert worden waren. Als die Frau stehenblieb und der Mähre den Hals tätschelte, konnten Harv und Nell sie einholen und erfuhren, daß sie lediglich eine vereinfachte Schilderung von sich gab, was im Torhaus geschehen war und weiter geschehen sollte; alles ziemlich geistesabwesend dahingeplappert, falls es die Mähre interessieren sollte. Einen Augenblick dachte Nell, die Mähre könnte ein in ein imitiertes Pferdefell gehülltes Chevalin sein, doch da stieß das Tier einen Urinstrahl von den Abmessungen eines Zaunpfahls aus, der in der Morgensonne wie ein Säbel aus Licht funkelte und in eine Dampfwolke gehüllt war, und Nell roch es und wußte, das Pferd war echt. Die Frau stieg nicht auf das Pferd, auf dem sie offenbar ohne Sattel gesessen hatte, sondern nahm die Zügel so sanft, als wären sie aus Spinnweben, und führte das Tier voran. Nell und Harv folgten mit ein paar Schritten Abstand, und die Frau schritt einige Zeit über den Rasen und schien ihre Gedanken zu ordnen, bis sie schließlich auf einer Seite ihr Haar hinter das Ohr steckte und sich zu ihnen umdrehte. »Hat Constable Moore überhaupt mit euch über die Vorschriften gesprochen?«
    »Was für Vorschriften?« stieß Harv hervor, ehe Nell sich mit einer Ausführlichkeit darüber auslassen konnte, die möglicherweise ein negatives Licht auf sie geworfen hätte. Nell staunte zum hundertstenmal über den mannigfaltigen Listenreichtum ihres Bruders, auf den selbst Peter stolz gewesen wäre.
    »Wir stellen Sachen her«, sagte die Frau, als wäre das eine nahezu perfekte und hinreichende Erklärung für die Phyle namens Dovetail. »Brad stellt Hufeisen her. Aber Brad ist eine Ausnahme, weil er hauptsächlich Dienstleistungen auf dem Pferdesektor anbietet. Oder nicht, Eierschale?« fügte die Frau, an das Pferd gewandt, hinzu. »Darum mußte er eine Zeitlang in den LPs leben, weil Uneinigkeit herrschte, ob Pferdeknechte, Butler und andere Anbieter von Dienstleistungen unter die Charta von Dovetail fallen. Aber wir haben abgestimmt und beschlossen, sie reinzulassen. Das langweilt euch, richtig? Mein Name ist Rita, und ich mache Papier.«
    »Sie meinen, mit dem MC?«
    Nell fand, daß das eine logische Frage war, aber Rita schien überrascht, sie zu hören, und tat sie mit einem Lachen ab. »Ich werde es dir später zeigen. Aber eigentlich wollte ich darauf hinaus, daß hier in Dovetail, im Gegensatz zu da, wo ihr herkommt, alles mit der Hand gemacht wird. Wir haben ein paar MaterieCompiler hier. Aber wenn wir, sagen wir, einen Stuhl haben wollen, dann fertigt ihn einer unserer Handwerker aus Holz an, genau wie in alten Zeiten.«
    »Warum kompiliert ihr ihn nicht einfach?« sagte Harv. »Ich meine, der MC kann Holz machen.«
    »Er kann Holzimitat machen«, sagte Rita, »aber manche Leute mögen keine Imitate.«
    »Warum mögt ihr keine Imitate?« fragte Nell.
    Rita lächelte sie an. »Nicht nur wir. Auch sie«, sagte sie und zeigte den Berg hinauf zu dem Ring hoher Bäume, die Dovetail von der Klave New Atlantis trennten.
    Die Erkenntnis dämmerte auf Harvs Gesicht. »Die Vickys kaufen bei euch!« sagte er.
    Rita sah ihn überrascht an, als hätte sie bisher noch nie gehört, daß sie Vickys genannt wurden. »Wie auch immer, worauf wollte ich hinaus? O ja, es läuft darauf hinaus, daß alles hier Unikate sind, darum müßt ihr vorsichtig damit umgehen.«
    Nell hatte eine ungefähre Vorstellung davon, was ein Unikat war, aber Harv nicht, daher erklärte es Rita ihm eine Weile, während sie durch Dovetail gingen. Rita wollte ihnen, das begriffen nach geraumer Zeit sowohl Nell als auch Harv, auf die erdenklichst umständliche Weise zu erklären versuchen, daß sie hier nicht herumlaufen und etwas kaputtmachen durften. Diese Art der Beeinflussung kindlichen Verhaltens lag so sehr außerhalb ihres Erfahrungsbereichs, daß das Gespräch, so sehr sich Rita um Höflichkeit bemühte, auf

Weitere Kostenlose Bücher