Diamond Age - Die Grenzwelt
Seiten der Kinder in Unverständnis und auf ihrer Seite in Frustration mündete. Von Zeit zu Zeit verschwanden die Sommersprossen, wenn ihr Gesicht rot anlief.
Sofern es überhaupt Straßen in Dovetail gab, bestanden sie aus kleinen, eng nebeneinander gelegten Steinen. An Fortbewegungsmitteln gab es Pferde, Chevaline und Velozipeden mit breiten Noppenreifen. Abgesehen von einer Stelle, wo sich mehrere Gebäude um eine zentrale Grünfläche drängten, standen die Häuser weit auseinander und waren entweder sehr klein oder sehr groß. Aber jedes schien einen hübschen Garten zu haben, und Nell lief von Zeit zu Zeit von der Straße herunter und roch an einer Blume. Anfangs beobachtete Rita sie nervös und bat sie, keine der Blumen zu pflücken, da sie anderen Leuten gehörten.
Am Ende der Straße lag ein Holztor mit einem lächerlich primitiven Riegel, der aus einem abgegriffenen Balken bestand. Hinter diesem Tor bestand die Straße aus einem groben Mosaik von Steinplatten, in deren Fugen Gras wuchs. Sie wand sich zwischen hügeligen Wiesen hindurch, wo Pferde und vereinzelte Milchkühe grasten, und führte schließlich zu einem großen dreistöckigen Gebäude aus Stein, das am Ufer eines Flusses stand, der von der Klave New Atlantis herabfloß. Ein riesengroßes Rad wuchs aus der Seite des Hauses und drehte sich langsam im Flußwasser. Davor stand ein Mann vor einem gewaltigen Hackklotz und benutzte eine Axt mit außergewöhnlich breiter Schneide, um dünne Rotholzscheiben von einem großen Stück Holz abzuschlagen. Die Scheiben warf er in einen Weidenkorb, den ein Mann auf dem Dach mit einem Seil in die Höhe zog, um einige der altersgrauen Schindeln durch die neuen roten zu ersetzen.
Harv war wie gelähmt vor Staunen angesichts dieses Schauspiels und blieb stehen. Nell hatte ähnliche Vorgänge schon in den Seiten ihrer Fibel gesehen. Sie folgte Rita zu dem langen, flachen Gebäude, wo die Pferde untergebracht waren.
Die meisten Menschen lebten nicht in der Mühle selbst, sondern in zwei zweigeschossigen Nebengebäuden mit Werkstätten im Erdgeschoß und Wohnräumen darüber. Nell stellte ein wenig überrascht fest, daß Rita gar nicht richtig mit Brad zusammenlebte. Ihr Apartment und ihr Laden waren beide doppelt so groß wie Nells alte Wohnung und mit schönen Sachen aus schwerem Holz, Metall, Baumwolle, Leinen und Porzellan bestückt, die, wie Nell allmählich begriff, allesamt von Hand hergestellt worden waren, wahrscheinlich hier in Dovetail.
In Ritas Laden standen große Kessel, in denen sie einen dicken, faserigen Eintopf kochte. Diesen Eintopf strich sie zum Trocknen dünn auf Platten und preßte ihn mit einer großen, handbetriebenen Presse zu einem dicken Papier mit unregelmäßigen Rändern, dem Tausende winzige Fasern darin eine subtile Tönung verliehen. Wenn sie einen Stapel Papier fertig hatte, trug sie ihn nach nebenan in ein Geschäft, in dem ein strenger Ölgeruch vorherrschte, wo ein bärtiger Mann mit schmutziger Schürze es durch eine weitere große, handbetriebene Maschine zog. Wenn es aus dieser Maschine herauskam, standen Buchstaben am oberen Rand, die Namen und Adresse einer Dame in New Atlantis bezeichneten.
Da sich Nell bis jetzt mustergültig verhalten, nicht versuchte, ihre Finger in die Maschinen zu stecken, und niemanden mit ihren Fragen abgelenkt hatte, gab Rita ihr die Erlaubnis, einige der anderen Geschäfte zu besuchen, sofern sie vorher immer um Erlaubnis fragte. Nell nutzte den größten Teil des Tages, um sich mit verschiedenen Ladenbesitzern anzufreunden: einem Glasbläser, einem Juwelier, einem Tischler, einem Weber, sogar einem Spielzeugmacher, der ihr eine winzigkleine Holzpuppe in einem karierten Kleid schenkte.
Harv nervte die Männer, die die Schindeln auf dem Dach auswechselten, eine Weile, dann schlenderte er fast den ganzen Tag durch die Felder, kickte kleine Steine von einer Stelle zur anderen und kundschaftete ganz allgemein die Grenzen und Bedingungen der Lebensgemeinschaft im Umkreis der Mühle aus. Nell sah von Zeit zu Zeit nach ihm. Zuerst machte er einen nervösen und skeptischen Eindruck, dann entspannte er sich und genoß es, und schließlich, am Spätnachmittag, wurde er mürrisch, setzte sich auf einen Felsen über dem Mühlbach, warf Kieselsteine hinein, kaute an seinem Daumennagel und dachte nach.
Brad kam früh nach Hause; er ritt auf einem Mustang den Berg von der Klave New Atlantis herunter, bahnte sich einen Weg durch den Grünstreifen und ließ
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