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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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aufzupassen, weil sie aus echtem Glas bestanden. Das Glas war uneben und voller Blasen wie die Oberfläche eines Topfs Wasser kurz vor dem Siedepunkt, und Nell betrachtete die Welt gerne durch dieses Glas, weil sie sich sicher fühlte, als würde sie sich hinter etwas verbergen, obwohl sie selbstverständlich wußte, daß es nicht so stabil wie ein normales Fenster war.
    Der Garten selbst schien immer darum bemüht, das kleine Haus in sich hineinzuziehen; viele schnellwachsende Efeuranken, Glyzinien und Heckenrosen waren voll und ganz mit der wichtigen Aufgabe beschäftigt, unter Zuhilfenahme der grünspanigen Regenrinne aus Kupfer an Mauern und Wänden emporzuklettern, deren Fugen zwischen den rauhen Steinen sie als Angriffspunkte nutzten. Das Schindeldach der Hütte wurde von phosphoreszierendem Moos gekrönt. Von Zeit zu Zeit preschte Constable Moore mit einer Heckenschere in das Dickicht und schnitt einige der Ranken ab, die Nells Glastür so hübsch einrahmten, damit sie sie nicht einschließen konnten.
    Im zweiten Jahr ihres Aufenthalts in der Hütte fragte sie Constable Moore, ob sie ein eigenes Stückchen Garten haben könnte. Nach einer anfänglichen Phase profunden Schocks und Mißfallens entfernte der Constable schließlich einige Platten, legte so ein kleines Beet frei und bat einen der Handwerker von Dovetail, Blumenkästen aus Kupfer anzufertigen und an den Fenstersimsen der Hütte zu befestigen. In dem Beet säte Nell Karotten, wobei sie an ihren vor langer Zeit verschwundenen Freund Peter denken mußte, und in die Blumenkästen pflanzte sie Geranien. Die Fibel verriet ihr, wie man das machte, und erinnerte sie auch daran, alle paar Tage eine Karotte auszugraben, damit sie sehen konnte, wie sie wuchsen. Nell fand heraus, wenn sie die Fibel über die Karotte hielt und eine bestimmte Seite betrachtete, wurde diese zu einer magischen Illustration, die wuchs und wuchs, bis Nell die winzigen Fasern sehen konnte, die aus den Wurzeln wuchsen, die einzelligen Organismen, die an den Fasern hafteten, und die Mitochondrien in ihrem Inneren. Derselbe Trick funktionierte bei allem, und Nell verbrachte viele Stunden damit, Fliegenaugen, Schimmel auf Brot und Blutzellen zu beobachten, die sie ihrem eigenen Körper entnahm, indem sie sich in den Finger stach. In kalten, klaren Nächten konnte sie auch auf einen Hügelkamm gehen und sich von der Fibel die Ringe des Saturn und die Monde des Jupiter zeigen lassen.
    Constable Moore arbeitete tagsüber weiterhin im Torhaus. Wenn er am Abend heimkam, aßen er und Nell häufig gemeinsam in seinem Haus. Anfangs beließen sie es bei Nahrungsmitteln aus dem MC, oder der Constable bereitete etwas Einfaches zu, beispielsweise Würstchen und Eier. In dieser Zeit aßen Prinzessin Nell und die anderen Figuren in der Fibel ebenfalls jede Menge Würstchen und Eier, bis Ente sich entrüstet dagegen verwahrte und Prinzessin Nell beibrachte, wie man gesünderes Essen kochte. Danach machte Nell es sich zur Angewohnheit, an mehreren Nachmittagen in der Woche, wenn sie von der Schule heimkam, ein gesundes Essen mit Salat und Gemüse zu kochen. Der Constable murrte manchmal, aß seinen Teller aber immer leer und spülte ab und zu sogar das Geschirr.
    Der Constable las häufig Bücher. Nell durfte sich gerne in seinem Haus aufhalten, wenn er das tat, solange sie sich still verhielt. Ab und zu scheuchte er sie hinaus und nahm über die große Mediatronwand seiner Bibliothek mit einem alten Freund Verbindung auf. Für gewöhnlich ging Nell bei diesen Gelegenheiten einfach in ihre kleine Hütte, aber manchmal, besonders bei Vollmond, schlenderte sie auch durch den Garten. Der Garten wirkte weitaus größer, weil er in zahlreiche kleine Beete unterteilt war. In Vollmondnächten war ihre Lieblingsstelle ein Hain hoher Bambuspflanzen mit hübschen Steinen im Umkreis. Dort saß sie mit dem Rücken an einem Stein, las in ihrer Fibel und hörte ab und zu Geräusche aus dem Haus von Constable Moore, wenn er über Mediatron sprach:
    hauptsächlich tiefes, bellendes Gelächter und Ausbrüche heiterer Schimpfereien. Sie ging eine ganze Zeit davon aus, daß nicht der Constable diese Geräusche von sich gab, sondern sein jeweiliger Gesprächspartner; denn in ihrer Gegenwart gab sich der Constable stets ausgesprochen höflich und zurückhaltend, wenn auch ein klein wenig exzentrisch. Aber eines Nachts hörte sie lautes Stöhnen aus seinem Haus kommen und schlich aus dem Bambuswäldchen, um nachzusehen, was

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