Diamond Age - Die Grenzwelt
ein junger Mann gewesen war. Er kroch die Schräge bis zum Ende hinauf, wo er ungewöhnlichen Steinboden unter den Füßen verspürte. Über seinem Kopf ging eine Luke auf, und einige Tonnen Meerwasser stürzten auf ihn herab.
Er stolperte ans trockene Land und merkte, daß er sich im Stanley Park befand, grauer Boden hinter sich, eine grüne Mauer vor sich. Es raschelte in den Farnen, und Kidnapper, der verfilzt und grün aussah, kam heraus. Für ein Roboterpferd sah er ungewöhnlich keck aus, weil er Hackworths Melone auf dem Kopf sitzen hatte.
Hackworth betastete sich selbst und spürte zu seinem Erstaunen Haare im Gesicht. Ein mehrere Monate alter Bart. Seltsamer aber war, daß er viel mehr Haare auf der Brust hatte als zuvor. Ein Teil seines Brusthaars war grau, die einzigen grauen Haare, die er je aus seinen Poren wachsen gesehen hatte.
Kidnapper sah so verfilzt und grün aus, weil Moos auf ihm wuchs. Der Hut sah schrecklich aus und war ebenfalls moosbedeckt. Hackworth streckte instinktiv die Hand aus und setzte ihn auf. Sein Arm war dicker und haariger als früher, eine keineswegs rundum unangenehme Veränderung, und auch der Hut schien ihm etwas zu klein zu sein.
In der Fibel kreuzt Prinzessin Nell den Pfad der rätselhaften Mäusearmee;
ein Besuch bei einem Invaliden.
Die Lichtung, die man vage zwischen den Bäumen erkennen konnte, bot eine höchst willkommene Abwechslung, denn die Wälder von König Kojote erwiesen sich als unüberwindlich tief und ewig in kalten Nebel eingehüllt. Sonnenlicht schien wie Finger zwischen dem Laubdach hindurch, daher hatte Prinzessin Nell beschlossen, im Freien Rast zu machen, wo sie mit etwas Glück in der Sonne sitzen konnte. Doch als sie die Lichtung erreichte, mußte sie feststellen, daß es sich nicht um die blumenübersäte Wiese handelte, mit der sie gerechnet hatte; vielmehr sah sie sich einer Schneise gegenüber, die eine titanische Kraft durch den Wald gewalzt hatte, indem Bäume geknickt und das Erdreich aufgewühlt worden waren. Als Prinzessin Nell ihr Erstaunen überwunden und ihre Angst gemeistert hatte, beschloß sie, die Kunst des Fährtenlesens anzuwenden, die sie im Lauf ihrer zahlreichen Abenteuer gelernt hatte, um etwas über die Natur des unbekannten Geschöpfs zu erfahren.
Wie sie schnell herausfand, war das Geschick eines geübten Fährtensuchers in diesem Fall gar nicht notwendig. Ein kurzer Blick auf die niedergetrampelte Erde zeigte ihr nicht (wie sie erwartet hatte) einige wenige gigantische Spuren, sondern Millionen winzige, die einander in solcher Vielzahl überlagerten, daß kein Fleckchen des Bodens von winzigen Krallen und Fußballen verschont geblieben war. Ein Heer von Katzen war hier vorbeigekommen; selbst wenn Prinzessin Nell die Fußspuren nicht erkannt hätte, hätten ihr die überall verstreuten Haarbällchen und winzigen Katzenköttel verraten, worum es sich handelte.
Katzen, die als Herde über Land zogen! Das war ein äußerst unkatzenhaftes Verhalten. Nell folgte ihrer Spur eine Zeitlang in der Hoffnung, den Sinn dieser Völkerwanderung zu erfahren. Nach ein paar Meilen
verbreiterte sich der Pfad zu einem verlassenen Lagerplatz mit den Überresten zahlloser kleiner Lagerfeuer. Nell suchte das Gelände erfolglos nach weiteren Hinweisen ab: Hier fand sie jede Menge Mäusekot und Fußspuren von Mäusen um die Feuerstellen herum. Das Muster der Fußspuren machte deutlich, daß die Katzen auf wenigen engbegrenzten Gebieten zusammengedrängt gewesen waren, während die Mäuse offenbar das Sagen gehabt hatten.
Das letzte Teil des Puzzles bildete ein winziges, zusammengeknülltes Stück Wildleder, das Nell bei einem der kleinen Lagerfeuer fand. Nell drehte es in den Fingern und fand, daß es wie ein Pferdehalfter aussah - aber in einer Größe, daß es um den Kopf einer Katze paßte.
Sie stand auf der Spur einer riesigen Mäusearmee, die auf Katzen ritten, so wie Ritter auf Pferden.
Sie hatte in anderen Teilen des Landes Jenseits schon Geschichten von der Mäusearmee gehört, sie aber stets als uralten Aberglauben abgetan.
Aber einmal, vor vielen Jahren war Prinzessin Nell am frühen Morgen in einem Gasthaus hoch in den Bergen aufgewacht, wo sie die Nacht verbrachte, weil sie eine Maus hörte, die ihren Rucksack durchsuchte...
Prinzessin Nell stieß einen von Purpur gelernten Zauberspruch aus, der Licht machte, und erschuf eine leuchtende Kugel, die mitten im Zimmer in der Luft schwebte. Die Worte des Zauberspruchs hatte der
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