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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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steilen Hang hinunter, während Hackworth den Blick über die winzige Klave schweifen ließ und sich überlegte, wie vertraut ihm alles vorkam. Seit er die Trommler verlassen hatte, waren keine zehn Minuten vergangen, in denen er nicht das Gefühl eines Déjà-vu-Erlebnisses gehabt hätte, und nun wurde es ganz besonders stark. Möglicherweise lag es zu einem gewissen Grad daran, daß alle New-Atlantis-Klaven einander ähnlich waren. Aber er vermutete, daß er diesen Ort irgendwie im Lauf der Jahre durch seine Kommunikation mit Fiona gesehen hatte.
    Eine Glocke läutete ein- oder zweimal, und Teenagermädchen in karierten Uniformröcken kamen aus einer Schule mit Kuppeldach heraus. Hackworth wußte, es war Fionas Schule, und sie war nicht ganz glücklich dort. Als die Schar der Mädchen sich zerstreut hatte, ritt er mit Kidnapper auf den Schulhof, umrundete einmal das Gebäude und schaute zu den Fenstern hinein. Er sah seine Tochter ohne große Schwierigkeiten, wie sie, über ein Buch gebeugt, an einem Tisch in der Bibliothek saß – offenbar im Rahmen einer Disziplinarmaßnahme.
    Er wünschte sich so sehr, hineinzugehen und die Arme um sie zu legen, da er wußte, daß sie so viele Stunden ähnliche Bestrafung hatte erdulden müssen und ein einsames Mädchen war. Aber er befand sich in New Atlantis; hier galt es, Anstandsregeln zu befolgen. Eins nach dem anderen.
    Gwendolyns Haus lag nur wenige Blocks entfernt. Hackworth läutete an der Tür und beschloß, da er nun ein Fremder im Haus war, alle erdenklichen Förmlichkeiten zu wahren.
    »Darf ich nach dem Grund Ihres Besuches fragen?« wollte das Hausmädchen wissen, als Hackworth seine Karte auf das silberne Tablett legte. Hackworth mochte diese Frau nicht, die Amelia hieß, weil Fiona sie nicht mochte, und Fiona mochte sie nicht, weil Gwen ihr eine gewisse Disziplinargewalt im Haushalt übertragen hatte und Amelia zu den Leuten gehörte, die das genossen.
    Er versuchte nicht, sich selbst mit der Frage zu verwirren, woher er das alles wissen konnte.
    »Familienangelegenheiten«, sagte er liebenswürdig.
    Amelia war schon halb die Treppe hoch, als ihr Blick schließlich auf Hackworths Karte fiel. Sie ließ beinahe das Tablett fallen und mußte sich am Geländer festhalten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Sie stand einige Augenblicke wie erstarrt und kämpfte gegen die Versuchung an, sich umzudrehen, aber schließlich gab sie ihr nach. Ihr Gesichtsausdruck drückte vollkommene Abscheu, verbunden mit Faszination, aus.
    »Bitte erledigen Sie Ihre Pflichten«, sagte Hackworth, »und verkneifen Sie sich das vulgäre Schmierentheater.«
    Amelia, die niedergeschlagen aussah, stürmte mit der unseligen Karte die Treppe hinauf. Es folgte oben ein längeres gedämpftes Hin und Her. Nach ein paar Minuten wagte sich Amelia bis auf den Treppenabsatz herab und bat Hackworth, es sich im Salon bequem zu machen. Er gehorchte und bemerkte dabei, daß es Gwendolyn in seiner Abwesenheit gelungen war, sämtliche Möbel zu erstehen, deren Kauf sie in den Anfangsjahren ihrer Ehe so ausgiebig geplant hatte. Frauen und Witwen von Geheimagenten der Protokollwahrung konnten sich darauf verlassen, daß sie bestens versorgt wurden, und Gwen hatte sein Gehalt offenbar keinen Staub ansetzen lassen.
    Seine Exfrau kam vorsichtig die Treppe herab, stand ein paar Minuten vor der facettierten Glastüre und betrachtete ihn durch die Gazevorhänge, ehe sie schließlich den Raum betrat, ohne ihm in die Augen zu sehen, und recht weit von ihm entfernt Platz nahm. »Hallo, Mr. Hackworth«, sagte sie.
    »Mrs. Hackworth. Oder heißt es wieder Miss Lloyd?«
    »So ist es.«
    »Ah, das ist hart.« Als Hackworth den Namen Miss Lloyd hörte, mußte er an seine Brautwerbung denken.
    Sie saßen eine Minute oder so da und sagten nichts, sondern lauschten nur dem gemächlichen Ticken der Standuhr.
    »Nun gut«, sagte Hackworth, »ich werde Ihnen nicht zur Last fallen, indem ich mich über mildernde Umstände auslasse, ebensowenig werde ich Sie um Vergebung bitten, da ich, in aller Ehrlichkeit, nicht sicher bin, ob ich sie verdiene.«
    »Danke für Ihre Umsicht.«
    »Ich möchte Sie wissen lassen, Miss Lloyd, daß ich Verständnis für Ihre Entscheidung habe, die Scheidung einzureichen, und in dieser Hinsicht keinen Groll hege.«
    »Es ist beruhigend, das zu wissen.«
    »Sie sollten ebenfalls wissen, daß das Verhalten, welches ich an den Tag legte, so unentschuldbar es ist, nicht durch eine Ablehnung Ihrer

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