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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Ausgehuniform, und die zahlreichen Anstecker und Orden an seinem Rock deuteten darauf hin, daß er einen großen Teil seiner Laufbahn bei verschiedenen Einheiten der Protokollwahrung verbracht hatte, mehrmals im Einsatz verwundet worden war und sich bei einer Gelegenheit durch große Heldenhaftigkeit ausgezeichnet hatte. Man sah deutlich, daß er ein ziemlich wichtiger Mann war. Als Nell sich die vergangene halbe Stunde zu Gemüte führte, sah sie ohne Überraschung, daß er in einer Kutte eingetroffen war und die Uniform in einem Lederkoffer bei sich trug. Es schien zu seinem Drehbuch zu gehören, daß er die Uniform trug.
    Im Augenblick saß er in einem typischen viktorianischen Salon, trank Tee aus einer Royal-Albert-Porzellantasse, die mit einem etwas kitschigen Muster wilder Rosen geschmückt war. Er machte einen nervösen Eindruck; man hatte ihn eine halbe Stunde warten lassen, was ebenfalls zum Drehbuch gehörte. Madame Ping sagte ihr immer wieder, daß sich niemals jemand beschwerte, wenn er zu lange auf einen Orgasmus warten mußte; Männer konnten sich jederzeit selbst einen verschaffen, wenn sie wollten, und sie bezahlten ausschließlich für die Ereignisse, die dazu führten. Die ausgedruckten biologischen Daten schienen Madame Pings Ansicht zu bestätigen: Der Mann schwitzte, sein Pulsschlag war beschleunigt, und er hatte eine halbe Erektion.
    Nell hörte; wie eine Tür aufging. Sie wechselte den Blickwinkel und sah, wie eine Kammerzofe den Raum betrat. Ihre Uniform war nicht so übertrieben aufreizend wie die meisten in Madame Pings Kostümschrank; der Kunde war gebildet. Die Frau war eine Chinesin, aber sie spielte die Rolle mit dem mittelatlantischen Akzent, der bei den Neoviktorianern gerade en vogue war: »Mrs. Braithwaite wird Sie jetzt empfangen.«
    Der Kunde betrat einen angrenzenden Salon, wo zwei Frauen auf ihn warteten: eine schwergewichtige Anglo Ende Vierzig und eine ausgesprochen attraktive Eurasierin um die Dreißig. Man wurde einander vorgestellt: Die ältere Frau war Mrs. Braithwaite, die jüngere Frau ihre Tochter. Mrs. schien etwas konfus; Miss war eindeutig Herrin der Eage.
    Dieser Teil des Drehbuchs änderte sich nie, und Nell hatte ihn schon hundertmal überarbeitet, um Unzulänglichkeiten auszugleichen. Der Kunde stimmte eine kurze Ansprache an, in deren Verlauf er Mrs. Braithwaite informierte, daß ihr Sohn Richard an der Front gefallen war, sich tapfer und heldenhaft geschlagen hatte und daher posthum für das Viktoriakreuz vorgeschlagen wurde.
    Nell hatte das einzig Logische bereits getan und im Archiv der T IMES geforscht, ob es sich um ein tatsächliches Erlebnis in der Vergangenheit des Kunden handelte. Soweit sie herausfinden konnte, handelte es sich mehr um eine Komposition aus zahlreichen ähnlichen Szenen, möglicherweise mit einem Schuß Phantasie angereichert.
    An dieser Stelle bekam die alte Dame einen Schwächeanfall und mußte sich von der Zofe und anderen Bediensteten aus dem Zimmer helfen lassen, so daß der Kunde allein mit Miss Braithwaite blieb, die die Nachricht gelassen aufnahm. »Ihre Haltung ist bewundernswert, Miss Braithwaite«, sagte der Kunde, »aber bitte seien Sie versichert, daß niemand Ihnen einen Vorwurf machen würde, wenn Sie in einem derartigen Augenblick Ihren Gefühlen freien Lauf ließen.« Wenn der Kunde diesen Satz aussprach, bebte seine Stimme sichtlich vor Erregung.
    »Nun denn«, sagte Miss Braithwaite. Sie holte ein kleines schwarzes Kästchen aus der Handtasche und drückte einen Knopf. Der Kunde grunzte und krümmte den Rücken so heftig, daß er vom Stuhl auf den Teppich fiel, wo er gelähmt liegenblieb.
    »Milben – Sie haben meinen Körper mit heimtückischen Nanositen infiziert«, keuchte er.
    »Im Tee.«
    »Aber das ist unmöglich – die meisten Milben sind äußerst temperaturanfällig – kochendes Wasser würde sie zerstören.«
    »Sie unterschätzen die Fähigkeiten von CryptNet, Oberst Napier. Unsere Technologie ist weitaus höher entwickelt als Ihre – wie Sie im Verlauf der kommenden Tage herausfinden werden!«
    »Wie auch immer Ihr Plan aussehen mag – seien Sie versichert, daß er scheitern wird!«
    »Oh, ich habe keinen speziellen Plan«, sagte Miss Braithwaite. »Dies ist keine Mission von CryptNet. Es ist etwas Persönliches. Sie tragen die Verantwortung für den Tod meines Bruders Richard – und ich werde dafür sorgen, daß Sie die angemessene Reue zeigen.«
    »Ich kann Ihnen versichern, daß mich große

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