Diamond Age - Die Grenzwelt
seiner Kleidung haftete wie Duftspuren. Diese schwachen Echos verbotener Daten in seinem Kielwasser verursachten verwickelte und unvorhersehbare Auswirkungen auf beiden Seiten der Grenze, deren sich Hackworth selbst vielleicht nicht einmal bewußt war. Carl Hollywood hatte bis vor wenigen Stunden kaum etwas über Hackworth gewußt, als ein Freund von Dramatis Personae sich bei ihm gemeldet hatte, worauf er sich die Vorstellung auf den schwarzen Decks des Schiffes angesehen hatte. Nun schien er eine Menge zu wissen: daß Hackworth der Schöpfer der
Illustrierten Fibel für die junge Dame
war und eine tiefgehende Beziehung zu den Trommlern besaß, die weit über eine normale Gefangenschaft hinausging. In den Jahren unter den Wellen hatte er nicht nur Lotos gegessen und einen Orgasmus nach dem andern gehabt.
Diesmal hatte Hackworth etwas mitgebracht, als er nackt und tropfnaß aus dem Reich der Trommler in den Ballasttanks des Schiffes zurückgekehrt war. Er war mit einem Satz von Zahlenschlüsseln zurückgekommen, die dazu dienten, bestimmte Einheiten zu identifizieren: die Fibel, Nell, Miranda und jemand, der auf den Namen Dr. X hörte. Bevor er wieder ganz bei Bewußtsein gewesen war, hatte er diese Schlüssel dem Clown übergeben, der zur Stelle gewesen war, um den keuchenden und schlotternden Hackworth aus dem Wasser zu ziehen. Bei dem Clown handelte es sich um ein mechanisches Gerät, aber Dramatis Personae war so freundlich gewesen, ihn für die Dauer der Vorstellung von Carl Hollywood steuern zu lassen; außerdem durfte er einen großen Teil von Hackworths persönlichem Drehbuch und Story improvisieren.
Nun besaß Carl die Schlüssel und war, was das Netz betraf, nicht von Miranda oder Nell oder Dr. X oder auch Hackworth selbst zu unterscheiden. Sie waren auf einem Blatt Papier aufgeschrieben, lange, in Vierergruppen angeordnete Zahlenkolonnen. Carl Hollywood befahl dem Blatt, sich zusammenzufalten, dann schob er es in die Brusttasche. Er konnte mit ihrer Hilfe die ganze Sache entwirren, aber das erforderte noch eine Nacht Arbeit. Nano-Schnee und Koffein hatten getan, was sie konnten. Es wurde Zeit, ins Hotel zurückzukehren, ein Bad zu nehmen, zu schlafen und sich auf den letzten Akt vorzubereiten.
In der Fibel reitet Prinzessin Nell zum Schloß von König Kojote;
Beschreibung des Schlosses;
eine Audienz bei einem Wizard;
ihr endgültiger Triumph über König Kojote;
eine verzauberte Armee.
Prinzessin Nell ritt in ein heftiges Gewitter hinein. Die Pferde wurden aus Angst vor den kanonenschußähnlichen Donnerschlägen und den unheimlich blauen Blitzen beinahe verrückt, aber mit fester Hand, und indem sie ihnen beruhigende Worte in die Ohren flüsterte, trieb Nell sie weiter voran. Die Knochenhaufen am Straßenrand legten beredtes Zeugnis davon ab, daß man auf diesem Gebirgspaß besser nicht verweilen sollte, und die armen Tiere wären nicht weniger ängstlich gewesen, wenn sie unter Felsen Schutz gesucht hätten. Es war durchaus denkbar, daß der große König Kojote das Wetter selbst kontrollierte und diesen Empfang organisiert hatte, um Prinzessin Nells Entschlossenheit auf die Probe zu stellen.
Schließlich erreichten sie den höchsten Punkt des Passes, um keine Sekunde zu früh, denn die Hufe der Pferde rutschten allmählich auf einer dicken Eisschicht, und Eis überzog das Zaumzeug und drückte die Mähnen und Schweife der Tiere nieder. Sie folgte den Haarnadelkurven nach unten, ließ das heftigste Wüten des Sturmes hinter sich und geriet dafür in Regenschauer, so dicht wie ein Dschungel. Es war gut, daß sie am Fuß des Berges ein paar Tage Rast gemacht und Purpurs Zauberbücher studiert hatte, denn auf diesem nächtlichen Ritt den Berg hinab brauchte sie jeden Zauber, den Purpur ihr beigebracht hatte: Zaubersprüche, um Licht zu machen; um die richtige Abzweigung zu finden; um die Tiere zu beruhigen und ihre unterkühlten Leiber zu wärmen; um sich selbst Mut zu machen, wenn sie verzagte; um die Anwesenheit aller Ungeheuer zu spüren, die närrisch genug waren, sich bei diesem Wetter herumzutreiben; und um diejenigen zu besiegen, die verzweifelt genug für einen Angriff waren. Der nächtliche Ritt bergab war möglicherweise eine waghalsige Aktion, aber es zeigte sich, daß Prinzessin Nell der Herausforderung gewachsen war. König Kojote würde ihr so eine Bergüberquerung nicht zutrauen. Morgen, wenn der Sturm auf dem Gipfel sich gelegt hatte, würde er seine Kundschafter, die Raben, über
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