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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Schlange stehen? In den Buden im Chiffriermarkt legen wir die Bücher auf den Tisch und gehen unseres Weges.«
    Mehrere Boten drehten sich um und sahen Prinzessin Nell mißbilligend an. Der Bote mit dem Ziegenbärtchen bemühte sich sichtlich, seine Heiterkeit zu unterdrücken, und sagte: »König Kojote ist kein kleiner Krämer, der in einer Bude auf dem Chiffriermarkt sitzt! Das wirst du gleich mit eigenen Augen sehen.«
    »Aber trifft er seine Entscheidungen nicht so wie alle anderen -indem er Vorschriften in einem Buch nachschlägt?«
    Daraufhin unternahmen die anderen Boten keinen Versuch mehr, ihre Heiterkeit zu unterdrücken. Derjenige mit dem Ziegenbärtchen befleißigte sich eines entschieden höhnischen Tonfalls. »Was hätte es in diesem Fall für einen Sinn, einen König zu haben?« sagte er. »Er liest seine Entscheidungen nicht aus einem Buch ab. König Kojote hat eine gigantische Denkmaschine gebaut, Wizard 0.2, die alles Wissen der Welt enthält. Wenn wir ein Buch zu ihm bringen, entschlüsseln es seine Gehilfen und konsultieren Wizard 0.2. Manchmal braucht Wizard Stunden, um zu einer Entscheidung zu kommen. Ich gebe dir den Rat, respektvoll und still in Gegenwart der großen Maschine zu warten.«
    »Das werde ich mit Sicherheit tun«, sagte Nell, die eher amüsiert denn erzürnt auf die Impertinenz dieses niederen Boten reagierte.
    Die Schlange rückte kontinuierlich vor, und als sich die Dunkelheit herabsenkte und die orangeroten Sonnenstrahlen erloschen, bemerkte Prinzessin Nell bunte Lichter, die aus der Zitadelle leuchteten. Die Lichter schienen ziemlich grell zu werden, wenn Wizard 0.2 Daten verarbeitete, ansonsten flackerten sie nur schwach. Prinzessin Nell versuchte, andere Einzelheiten von allem zu ergründen, was in der Zitadelle vor sich ging, aber die zahllosen Facetten brachen das Licht und beugten es in alle Richtungen, so daß sie nur Bruchstücke und Andeutungen mitbekam; wenn sie in das innerste Heiligtum von König Kojote schaute, kam es ihr vor, als versuchte sie, sich an die Einzelheiten eines vergessenen Traums zu erinnern.
    Schließlich kam der Bote mit dem Ziegenbärtchen wieder heraus, schenkte Prinzessin Nell ein letztes blasiertes Grinsen und ermahnte sie noch einmal, den gebotenen Respekt zu zeigen.
    »Der nächste«, intonierte ein Gehilfe mit singender Stimme, worauf Prinzessin Nell die Zitadelle betrat.
    Fünf Gehilfen saßen im Vorzimmer, jeder an einem Schreibtisch, auf dem sich staubige alte Bücher und lange Papierrollen stapelten. Nell hatte dreizehn Bücher vom Chiffriermarkt mitgebracht, und nun folgte sie den Anweisungen der Gehilfen und verteilte sie reihum zum Entschlüsseln unter ihnen. Die Gehilfen waren weder jung noch alt, sondern in der Mitte ihrer Jahre, alle trugen weiße Mäntel, die mit dem goldgestickten Wappen von König Kojote geschmückt waren. Außerdem hatte jeder einen Schlüssel um den Hals hängen. Während Prinzessin Nell wartete, entschlüsselten die Gehilfen den Inhalt der Bücher, die sie mitgebracht hatte, und stanzten den Inhalt mit Hilfe kleiner Maschinen an ihren Schreibtischen auf Papierstreifen.
    Dann wurden die dreizehn Papierstreifen unter großem Zeremoniell zusammengerollt und auf ein großes silbernes Tablett gelegt, das ein junger Meßdiener trug. Eine große Doppeltür wurde geöffnet, und die Gehilfen, der Meßdiener und Prinzessin Nell bildeten eine Art Prozession, die in den Saal von Wizard marschierte, einen großen, gewölbeähnlichen Raum, und dessen langen Mittelgang hinab.
    Am anderen Ende des Saales war - nichts. Eine Art von großem, freiem Raum, umgeben von komplizierten Maschinen und Uhrwerken, davor ein kleinerer Altar. Es erinnerte Prinzessin Nell an eine Bühne ohne Vorhang und Kulissen. Neben der Bühne stand ein Hoherpriester, älter und in einem eindrucksvolleren weißen Gewand.
    Als sie das Ende des Gangs erreichten, übte der Priester eine oberflächliche Zeremonie aus, lobte die exzellenten Vorzüge des Wizard und bat um seine Mitarbeit. Kaum hatte er das gesagt, gingen Lichter an, und die Maschinerie fing an zu summen. Prinzessin Nell sah, daß dieses Gewölbe eigentlich nichts weiter war als das Vorzimmer eines viel größeren Raumes im Inneren, und daß dieser Raum mit Maschinen vollgestopft war: zahllose schmale, glänzende Stäbe, kaum größer als Bleistifte, in einem engen Gitter angeordnet, bewegten sich unter dem Einfluß von zahnradgetriebenen Kraftübertragungsgestängen, die den ganzen Saal

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