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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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den Paß und in die umliegenden Ebenen fliegen lassen, um nach ihr zu suchen, wie es schon seit mehreren Tagen geschah, und sie würden mit niederschmetternden Nachrichten heimkehren: Die Prinzessin war verschwunden! Nicht einmal die besten Fährtensucher von König Kojote würden ihre Spur vom gestrigen Lagerplatz aus verfolgen können, so geschickt hatte sie ihre richtige Fährte verborgen und falsche Spuren gelegt.
    Bei Dämmerung befand sie sich im Herzen eines großen Waldes. Das Schloß von König Kojote stand auf einer bewaldeten, von Berggipfeln umgebenen Hochebene; sie schätzte, daß sie noch mehrere Tagesritte davon entfernt war. Sie hielt sich von den befestigten Straßen fern, welche die Boten vom Chiffriermarkt benutzten, und schlug ihr Lager unter einem überhängenden Felsen an einem Fluß auf, wo sie Schutz vor dem kalten, feuchten Wind und den Blicken der Rabenkundschafter fand, entfachte ein kleines Lagerfeuer und machte sich Tee und Porridge.
    Sie schlief bis in den Nachmittag hinein, dann stand sie auf, badete im bitterkalten Wasser des Bachs und packte das Ölpapierbündel aus, das sie mitgebracht hatte. Es enthielt eines der Kostüme, wie die Boten sie trugen, die vom und zum Chiffriermarkt unterwegs waren. Darüber hinaus enthielt es ein paar Bücher mit verschlüsselten Botschaften - authentische aus verschiedenen Buden des Marktes, die alle für das Schloß von König Kojote bestimmt waren.
    Als sie sich Richtung Hauptstraße durch den Wald bewegte, hörte sie lauten Hufschlag und wußte, daß das erste Kontingent der Boten, die wegen des schlechten Wetters gewartet hatten, gerade den Paß überquert haben mußte. Sie wartete ein paar Minuten, dann folgte sie ihnen. Als sie aus dem dichten Wald auf die Hauptstraße kam, zügelte sie ihr Pferd, blieb einen Moment stehen und betrachtete erstaunt das Schloß von König Kojote.
    Auf all ihren Reisen durch das Land Jenseits hatte sie noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Sein Fundament war so groß wie ein Berg, die Mauern ragten steil und gerade bis in die Wolken empor. Galaktische Wolken aus Licht leuchteten aus den Myriaden Fenstern. Umgeben war es von mächtigen Palisaden, jede ein Schloß für sich, jedoch nicht auf Fundamenten erbaut, sondern auf den Wolken selbst; denn König Kojotoe war es in seiner Klugheit gelungen, Gebäude zu schaffen, die in der Luft schwebten.
    Prinzessin Nell gab ihrem Pferd die Sporen, denn trotz ihrer Benommenheit wußte sie, daß jemand die Hauptstraße aus einem Fenster hoch droben in einem der leuchtenden Erker des Schlosses beobachten könnte. Während sie auf das Schloß zugaloppierte, war sie hin und her gerissen zwischen dem Bewußtsein ihrer Torheit, eine derart mächtige Festung anzugreifen, und der Bewunderung für König Kojotes Werk. Matte Wolken aus durchscheinendem Schwarz zogen zwischen den Türmen und Palisaden dahin, und als Prinzessin Nell näher kam, sah sie, daß es sich in Wahrheit um Rabenschwärme handelte, die militärischen Drill exerzierten. Sie waren König Kojotes Ersatz für eine Armee; denn wie ihr einer der Raben verraten hatte, als er die elf Schlüssel stahl, die sie um den Hals hängen hatte:
     
    Gärten, Schlösser, Gold, Juwelen.
    Betören aller Narren Seelen, Und auch die der kleinen Nell.
    Doch König Kojote und seine Kräh'n, Die sind so klug, gewitzt und hell, Die steigern ihre Macht im Handumdrehn, Und verstecken den Kram sekundenschnell.
     
    König Kojote bewahrte seine Macht nicht durch bewaffnete Streitkräfte, sondern durch Schlauheit, daher brauchte er nur eine Armee von Wachposten und als einzige Waffen Informationen.
    Als sie die letzten Meilen zum Tor galoppierte und sich fragte, ob ihre Beine und ihr Rücken durchhallen würden, schoß ein dünner schwarzer Strahl aus einem Portal hoch droben in der schwebenden Palisade heraus, schwoll zu einem durchsichtigen Ball an und schoß wie ein herabstürzender Komet auf sie zu. Sie schrak unwillkürlich vor der Illusion von Masse und Geschwindigkeit zurück, aber einen Steinwurf über ihrem Kopf teilte sich die Wolke der Raben in mehrere Kontingente, die herumflatterten, aus unterschiedlichen Richtungen auf Nell herabstießen und so nah an ihr vorbeiflogen, daß der Wind ihrer Flügel Nells Haare nach hinten wehte, bis sie sich schließlich zu einer disziplinierten Gruppe formiert hatten und ohne einen Blick zurück zu ihrer Palisade zurückkehrten. Offenbar hatte sie ihren kritischen Blicken standgehalten. Als sie das

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