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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Den hatte Nell vergessen. Aber das Buch erzählte ihr eine Geschichte von einem Affen namens Albert.
     

Ein junger Hooligan vor Richter Fang;
das Gericht tagt mit seinen Ratgebern;
der Gerechtigkeit wird Genüge getan.
    »Die kreisende Kette eines Tschackos besitzt ein einmaliges Radarmuster - ähnlich wie der Rotor eines Helikopters, aber lauter«, sagte Miss Pao und sah über die Halblinse ihrer Phänomenoskopbrille zu Richter Fang auf. Sie schielte und verzog das Gesicht; sie hatte gerade ein vergrößertes Bild vor sich gesehen, daher empfand sie die Anpassung an die Realität als desorientierend. »Eine ganze Gruppe derartiger Muster wurde exakt zehn Sekunden nach 23.51 Uhr von einem Himmelsauge der Shanghaier Polizei geortet.«
    Während Miss Pao diesen kurzen Abriß vortrug, erschienen Bilder auf dem großen Blatt Mediatronpapier, das Richter Fang auf seiner Brokattischdecke aufgerollt hatte und mit Briefbeschwerern aus Jade in dieser Stellung hielt. Im Augenblick zeigte das Blatt eine Karte der Leasing-Parzelle namens Zauberland, wobei eine Stelle nahe der Brücke hervorgehoben wurde. In der Ecke befand sich ein zweiter Quadrant mit dem Archivbild eines Himmelsauges zur Verbrechensbekämpfung, die für Richter Fang stets wie ein von einem Fetischisten neu gestalteter amerikanischer Football aussahen: glänzend und schwarz und mit Beschlägen versehen.
    Miss Pao fuhr fort: »Das Himmelsauge schickte eine Flotte von acht kleineren, mit CineKameras ausgestatteten Aerostats los.«
    Der perverse Football wurde vom Bild eines tränenförmigen, etwa mandelgroßen Fluggeräts mit Antenne verdrängt, dessen Öffnung an der Vorderseite von einer unangemessen schönen Iris beschützt wurde. Richter Fang schenkte alledem keineswegs seine ungeteilte Aufmerksamkeit; mindestens drei Viertel der Fälle, die ihm vorgetragen wurden, fingen mit einer fast identischen Auflistung an. Es sprach für Miss Paos Ernst und Sorgfalt, daß es ihr gelang, jede Geschichte wie eine neue zu erzählen. Es war eine Herausforderung für Richter Fangs Professionalität, daß er sich jede einzelne in derselben Stimmung anhörte.
    »Sie näherten sich dem Tatort«, sagte Miss Pao, »und zeichneten die Geschehnisse auf.«
    Die große Karte auf Richter Fangs Papierrolle wurde von einem Cinelnput ersetzt. Die Gestalten waren weit entfernt, ein Schwarm vergleichsweise dunkler Pixel, die sich ihren Weg auf einem grobkörnigen grauen Hintergrund bahnten wie Stare, die sich vor einer winterlichen Brise scharten. Je näher die Aerostats dem Tatort kamen, desto deutlicher wurden die Übeltäter.
    Ein Mann lag zusammengekrümmt auf der Straße und hatte die Arme um den Kopf gelegt. Inzwischen waren die Tschackos weggesteckt worden, und emsige Hände durchsuchten die zahllosen Taschen, die der Anzug eines Gentleman barg. An diesem Punkt wurde die Cine in Zeitlupe fortgesetzt. Eine Uhr funkelte und pendelte hypnotisierend am Ende einer goldenen Kette. Ein silberner Füllfederhalter blitzte auf wie eine startende Rakete und verschwand in den Falten der milbensicheren Kleidung eines Tunichtguts. Und dann kam noch etwas zum Vorschein, schwerer aufzulösen: größer, überwiegend dunkel, weiß an der Kante. Möglicherweise ein Buch.
    »Heuristische Analyse des Inputs ließ vermuten, daß ein Gewaltverbrechen im Gange war«, sagte Miss Pao.
    Richter Fang schätzte Miss Paos Dienste aus den unterschiedlichsten Gründen, aber ihre bierernsten Kommentare waren ihm besonders kostbar.
    »Daher schickte das Himmelsauge eine weitere Flotte von auf Markierung spezialisierten Aerostats aus.«
    Das Bild eines MarkoStats erschien: Er war kleiner und schlanker als die CineStats und erinnerte an eine Hornisse ohne Flügel. Die Nanozellen, welche die winzigen Turbinen beherbergten, die derartigen Mechanismen die Fähigkeit verliehen, sich durch die Luft zu bewegen, konnte man überdeutlich erkennen; es war einzig und allein im Hinblick auf Geschwindigkeit konstruiert worden.
    »Die mutmaßlichen Straßenräuber leiteten Gegenmaßnahmen ein«, sagte Miss Pao wieder in diesem bierernsten Tonfall. Der Cinelnput zeigte, daß die Schurken flohen. Der CineStat folgte ihnen mit einem sauberen Kameraschwenk. Richter Fang, der Tausende Stunden Filmaufnahmen von Verbrechern gesehen hatte, die vom Tatort flohen, sah aufmerksam zu. Weniger versierte Übeltäter wären einfach in Panik geflohen, aber diese Gruppe ging zielstrebig vor; zwei fuhren auf einem Rad, einer lenkte, während der

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