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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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dasselbe Apartment zurück.
    »Nachdem ein Muster ersichtlich war, bildeten die Markiermilben automatisch Sporen«, sagte Miss Pao.
    Das Bild des stacheligen Pfeils veränderte sich, das Mittelteil -das eine Aufzeichnung der Bewegungen des Pfeils enthielt – koppelte sich ab und verschwand in der Ferne.
    »Mehrere Sporen fanden den Weg zum Himmelsauge, wo ihr Inhalt übermittelt und ihre Seriennummern mit den Polizeiunterlagen abgeglichen wurden. Man kam zu dem Ergebnis, daß der Verdächtige viel Zeit in einem bestimmten Apartment verbrachte. Das Apartment wurde unter Überwachung gestellt. Einer der Bewohner entsprach eindeutig dem von dem CineInput aufgezeichneten Bild des Täters. Der Verdächtige wurde unter Arrest gestellt, zusätzliche Markiermilben, die in seinem Körper gefunden wurden, erhärten unseren Verdacht.«
    »Oooh«, stieß Chang geistesabwesend hervor, als wäre ihm gerade etwas Wichtiges eingefallen.
    »Was wissen wir über das Opfer?« sagte Richter Fang.
    »Der CineStat konnte ihm nur bis zu den Toren von New Atlantis folgen«, sagte Miss Pao. »Sein Gesicht war blutig und geschwollen, was eine Identifizierung erschwerte. Selbstverständlich war er ebenfalls markiert worden – die Markier-Aerostats können nicht zwischen Täter und Opfer unterscheiden –, aber es wurden keine Sporen empfangen; wir können nur vermuten, daß seine Milben allesamt vom Immunsystem von Atlantis/Shanghai entdeckt und vernichtet wurden.«
    An dieser Stelle verstummte Miss Pao und wandte den Blick in Richtung von Chang, der reglos mit auf dem Rücken verschränkten Händen dastand und zu Boden sah, als wäre sein Hals schließlich doch unter der Last des Kopfes eingeknickt. Miss Pao räusperte sich einmal, zweimal, dreimal, und plötzlich wurde Mr. Chang wieder wach. »Entschuldigung, Euer Ehren«, sagte er und verneigte sich vor Richter Fang. Er kramte in einer großen Plastiktüte und förderte den übel zugerichteten Zylinder eines Gentleman zutage. »Das wurde am Tatort gefunden«, sagte er, wieder in seine Muttersprache Shanghainesisch verfallend.
    Richter Fang senkte den Blick, betrachtete die Tischplatte, dann Chang. Chang trat vor und legte den Hut vorsichtig auf den Tisch, dann gab er ihm behutsam einen kleinen Schubs, als wäre seine Lage nicht ganz richtig. Richter Fang studierte den Hut kurz, dann schob er die Hände aus den üppigen Falten seiner Robe, nahm den Hut und drehte ihn um. Die Worte J OHN P ERCIVAL H ACKWORTH standen in goldenen Buchstaben auf dem Hutband.
    Richter Fang warf Miss Pao, die den Kopf schüttelte, einen vielsagenden Blick zu. Sie hatten sich noch nicht mit dem Opfer in Verbindung gesetzt. Das Opfer auch nicht mit ihnen, und das wiederum war interessant; John Percival Hackworth mußte etwas zu verbergen haben. Die Neoviktorianer waren schlau; warum wurden so viele von ihnen nach einem Zug durch die Bordelle in den Leasing-Parzellen ausgeraubt?
    »Haben Sie die gestohlenen Gegenstände wiederbeschafft?« sagte Richter Fang.
    Chang trat wieder vor den Tisch und legte eine goldene Taschenuhr darauf. Dann wich er zurück, verschränkte die Hände hinter dem Rücken, beugte wieder den Hals und betrachtete seine Füße, die nicht stillstehen zu können schienen und unmerklich hin- und herrutschten. Miss Pao sah ihn böse an.
    »War da nicht noch ein Gegenstand? Möglicherweise ein Buch?« fragte Richter Fang.
    Chang räusperte sich nervös und unterdrückte den Drang auszuspucken – eine Aktivität, die Richter Fang in seinem Gerichtssaal verboten hatte. Er wandte sich zur Seite und wich einen Schritt zurück, damit Richter Fang einen der Zuschauer sehen konnte: ein etwa vier Jahre altes Mädchen, das die Füße auf den Stuhl gestellt hatte, so daß seine Knie ihr Gesicht verbargen. Richter Fang hörte, wie eine Seite umgeblättert wurde, und stellte fest, daß das Mädchen ein Buch las. Es wandte den Kopf hierhin und dorthin und redete leise mit dem Buch.
    »Ich muß den Richter demütig um Entschuldigung bitten«, sagte Chang auf Shanghainesisch. »Ich reiche hiermit meine Kündigung ein.«
    Richter Fang reagierte darauf mit dem gebührenden Ernst.
    »Weshalb?«
    »Es gelang mir nicht, dem Kind das Beweisstück abzunehmen«, sagte Chang.
    »Ich habe gesehen, wie Sie erwachsene Männer mit bloßen Händen getötet haben«, wies Fang ihn zurecht. Er war im Gebrauch der kantonesischen Sprache großgezogen worden, konnte sich Chang aber mit einer Art bastardisiertem Mandarin

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