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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Lord ungewöhnlich zufrieden gewesen.
    Er blätterte das Buch immer wieder durch und wartete darauf, daß etwas passieren würde.
    »Es ist unwahrscheinlich, daß es im Augenblick etwas Interessantes tun wird«, sagte Hackworth. »Es wird sich erst aktivieren, wenn es eine Verbindung herstellt.« »Eine Verbindung herstellt?«
    »Wie wir besprochen hatten, sieht und hört es alles in seiner Umgebung«, sagte Hackworth. »Im Augenblick sucht es nach einem kleinen Mädchen. Sobald ein Mädchen es nimmt und zum erstenmal den Einband aufschlägt, speichert es das Bild und die Stimme dieses Mädchens -«
    »Stellt eine Verbindung mit ihr her. Ja, ich verstehe.« »Von da an wird es alle Ereignisse und Personen in Relation zu diesem Mädchen sehen und sie als Markstein benutzen, von dem aus es ein psychologisches Terrain kartographiert. Die Wartung dieses Terrains ist eine Hauptaufgabe des Buches. Jedesmal, wenn das Kind das Buch benutzt, wird das Buch aus seinem Datenspeicher heraus eine Art dynamische Anpassung an das spezielle Terrain des Mädchens vornehmen.«
    »Sie meinen die Datenbank der Folklore.« Hackworth zögerte. »Verzeihung, Sir, aber nicht unbedingt. Folklore besteht aus gewissen universellen Grundgedanken, die jeweilige Kulturen für sich eingerichtet haben. Beispielsweise gibt es in vielen Kulturen die Figur eines Listenreichen, daher darf man die Figur des Listenreichen als allgemeingültig betrachten; aber er erscheint in verschiedenen Verkleidungen, jeweils auf den speziellen kulturellen Hintergrund zugeschnitten. Die Indianer des amerikanischen Südwesten nannten ihn Kojote, die an der Pazifikküste Rabe. Europäer nannten ihn Reineke Fuchs. Afroamerikaner nennen ihn Bruder Kaninchen. In der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts taucht er anfänglich als Bugs Bunny auf, später als der Hacker.«
    Finkle-McGraw kicherte. »In meiner Jugend hatte dieses Wort eine doppelte Bedeutung. Es konnte für einen listenreichen Schurken stehen, der in bestehende Systeme eindrang, aber auch für einen besonders geschickten Programmierer.«
    »Diese Doppeldeutigkeit ist in postneolithischen Kulturen weit verbreitet«, sagte Hackworth. »Als die Technologie zunehmend an Bedeutung gewann, machte die Figur des Listenreichen eine charakterliche Veränderung durch und wurde zum Gott des Handwerks - der Technologie, wenn Sie so wollen -, während die zugrundeliegende schurkische Bedeutung erhalten blieb. Und so haben wir den Enki der Sumerer, Prometheus und Hermes bei den Griechen, den Loki der nordischen Mythologie und so weiter.
    »Wie dem auch sei«, fuhr Hackworth fort, »Listenreicher/Technologist ist nur eine der universellen Figuren. Die Datenbank ist voll von ihnen. Sie ist ein Katalog des kollektiven Unbewußten. In alten Zeiten mußten die Verfasser von Kinderbüchern diese universellen Figuren in konkrete Symbole übertragen, die ihren Lesern vertraut waren - so, wie Beatrix Potter aus dem Listenreichen ihren Peter Karnickel machte. Das ist eine hinreichend effektive Vorgehensweise, besonders wenn die Gesellschaft homogen und statisch ist, so daß alle Kinder dieselben Erfahrungen machen.
    Mein Team und ich haben diesen Prozeß abstrahiert und ein System entwickelt, um die universellen Gestalten dem einzigartigen psychologischen Terrain des Kindes anzugleichen – auch wenn sich dieses Terrain mit der Zeit verändert. Aus diesem Grund ist es wichtig, daß Sie dieses Buch keinem anderen Kind in die Hände fallen lassen, bevor Elizabeth Gelegenheit hatte, es aufzuschlagen.«
    »Klar«, sagte Lord Alexander Chung-Sik Finkle-McGraw. »Ich werde es gleich höchstpersönlich einpacken. Dafür habe ich heute morgen eigens ein hübsches Geschenkpapier kompiliert.« Er machte die Schreibtischschublade auf und holte eine Rolle dickes, glänzendes Mediatronpapier heraus, das animierte Weihnachtsbilder zeigte: den Weihnachtsmann, wie er den Kamin herunterkam; die fliegenden Rentiere; die drei zoroastrischen Alleinherrscher, die vor dem Stall von ihren Dromedaren heruntersteigen. Es folgte eine Pause, während Hackworth und Finkle-McGraw die kleinen Bilder betrachteten; es gehörte zu den Unannehmlichkeiten des Lebens in einer Welt voller Mediatrons, daß Unterhaltungen ständig auf diese Weise gestört wurden, was erklärte, warum die Atlanter sich bemühten, Mediatroneinrichtungen auf ein Minimum zu beschränken. Betrat man das Haus eines Thete, war alles mit beweglichen Bildern versehen, alle saßen mit offenen

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