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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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verschlungenen Subregion auf, deren Ausläufer sich scheinbar durch jedes Viertel und jedes Haus der uralten Stadt erstreckten: Auf der Karte sah diese Region wie das Wurzelgeflecht eines tausendjährigen Bonsaibaums aus; ihre Grenzen mußten hundert Kilometer lang sein, obwohl sie sich auf wenige Quadratkilometer beschränkte. Diese Region war kein Bestandteil der Küstenrepublik; sie wurde als das Mittlere Königreich ausgewiesen, ein lebendes Überbleibsel des Chinesischen Kaiserreichs, angeblich die älteste und größte Nation der Welt.
    Doch die Ausläufer erstreckten sich noch weiter; Richter Fang wußte es schon seit langer Zeit. Viele Bandenmitglieder, die mit den Spuren von Richter Fangs Stock über den Ärschen durch die Leasing-Parzellen schlichen, hatten Beziehungen zum Festland, die man unweigerlich bis zu Dr. X zurückverfolgen konnte. Es erwies sich selten als nützlich, auf diese Tatsache hinzuweisen; wäre es nicht Dr. X gewesen, dann ein anderer. Dr. X machte sich auf außergewöhnlich kluge Weise das Prinzip des Asyls oder Rechts auf Unterschlupf zunutze, was im modernen Sinne schlicht und einfach bedeutete, daß Repräsentanten der Küstenrepublik das Himmlische Königreich nicht betreten und jemanden wie Dr. X verhaften konnten. Wenn sie sich überhaupt die Mühe machten, nach den Hintermännern eines bestimmten Verbrechers zu forschen, dann zogen sie einfach einen Pfeil auf der Seite aufwärts zu einem Schriftzeichen, das aus einem Kästchen mit einem vertikalen Strich in der Mitte bestand. Das Schriftzeichen bedeutete Mitte, also: Mittleres Königreich, doch für Richter Fang bedeutete es mittlerweile einfach: Ärger.
    Im Haus des Ehrwürdigen und Unergründlichen Oberst und anderen Aufenthaltsorten von Richter Fang war der Name Dr. X in den vergangenen Wochen häufiger genannt worden. Dr. X hatte versucht, jeden in der Hierarchie des Richters zu bestechen, außer den Richter selbst. Selbstverständlich waren die Avancen von Leuten gemacht worden, die bestenfalls über ganz entfernte Beziehungen zu Dr. X verfügten, und derart subtil, daß den meisten erst Tage oder Wochen später aufging, was geschehen war, sie sich plötzlich im Bett aufrichteten und riefen: »Er hat versucht, mich zu
bestechen!
Das muß ich Richter Fang erzählen!«
    Ohne das Recht auf Asyl hätten es fröhliche und stimulierende Jahrzehnte sein können, während Richter Fang seine Kräfte mit Dr. X maß, einem ebenbürtigen Widersacher und einer willkommenen Abwechslung von den übelriechenden, diebischen Barbarenbengeln. So jedoch waren die Winkelzüge von Dr. X von rein abstraktem Interesse. Deshalb freilich nicht weniger interessant, und an vielen Tagen, wenn Miss Pao ihre altbekannten Vorträge über Himmelsaugen, heuristische Überfallmelder und Markier-Aerostats hielt, schweiften Richter Fangs Gedanken zu der Altstadt ab, zur Behausung von Dr. X.
    Man sagte, daß der Doktor gelegentlich seinen Tee in einem alten Teehaus dort einnahm, und so geschah es, daß Richter Fang eines Morgens besagtes Teehaus ebenfalls aufsuchte. Es war vor Jahrhunderten mitten in einem Teich errichtet worden. Schwärme feuerfarbener Fische schwebten dicht unter der Oberfläche des khakifarbenen Wassers, wo sie wie glühende Kohlen leuchteten, als Richter Fang und seine Assistenten Miss Pao und Chang die Brücke überquerten.
    Einem alten chinesischen Aberglauben zufolge wollten Dämonen nur auf geraden Linien reisen. Aus diesem Grund wies die Brücke zur Mitte des Sees nicht weniger als neun Zickzackkurven auf. Mit anderen Worten, die Brücke war ein Dämonenfilter, das Teehaus daher dämonenfrei, was bestenfalls von fragwürdigem Nutzen sein konnte, wenn Menschen vom Schlage eines Dr. X dort bewirtet wurden. Aber Richter Fang, der in einer Stadt langer, gerader Straßen groß geworden war, wo die Leute geradeheraus redeten, fand es nützlich, daran erinnert zu werden, daß vom Standpunkt verschiedener Leute aus gesehen, Dr. X eingeschlossen, all diese Geradheit auf Dämonen hindeutete; natürlicher und den Menschen gemäßer waren die verschlungenen Pfade, wo man nie um die nächste Ecke sehen konnte und den großen Plan erst nach längerer Meditation verstand.
    Das Teehaus selbst bestand aus unbehandeltem Holz, dem das Alter eine hübsche graue Färbung geschenkt hatte. Es sah baufällig aus, schien es aber offenbar nicht zu sein. Es war schmal und hoch, zwei Stockwerke mit einem stolzen flügelähnlichen Dach. Man trat durch eine niedere,

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