Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
sich dafür, daß er sich verabschieden müsse, worauf die beiden Männer sich auf ein sehr höfliches Streitgespräch einließen, wessen Grobheit denn nun unentschuldbarer sei, und anschließend darüber, wer als erster die Brücke überqueren sollte. Letztendlich ging Richter Fang als erster, da seine Pflichten als dringender erachtet wurden, und so ging die erste Begegnung von Richter Fang und Doktor X zu Ende. Der Richter war überaus zufrieden; alles war wie geplant abgelaufen.
     

Hackworth bekommt unerwartet Besuch von Inspektor Chang.
    Mrs. Hull mußte sich Mehl von der Schürze klopfen, bevor sie zur Tür ging. Hackworth, der in seinem Arbeitszimmer arbeitete, ging davon aus, daß es sich nur um eine Zustellung handelte, bis sie an der Tür stand, sich leise räusperte und ihm ein Tablett mit einer Visitenkarte darauf hinhielt: Lieutenant Chang. Seine Organisation trug, in typisch chinesischer Vom-Speziellen-zum-Allgemeinen-Rangordnung, die Bezeichnung: Büro des Bezirksrichters, Leasing-Parzellen, New Chusan, Shanghai, Chinesische Küstenrepublik.
    »Was will er?«
    »Ihnen Ihren Hut wiedergeben.«
    »Schicken Sie ihn herein«, sagte Hackworth verblüfft.
    Mrs. Hull ließ sich sichtlich Zeit. Hackworth sah in den Spiegel und stellte fest, daß er sich an den Hals griff und den Sitz seines Krawattenknotens überprüfte. Sein Hausrock hing lose herab, daher zog er ihn straff und zurrte den Gürtel fest. Dann begab er sich in den Salon.
    Mrs. Hull führte Lieutenant Chang in den Salon. Er war ein vierschrötiger, plumper Bursche mit kurzem Bürstenschnitt. Hackworths Zylinder, der arg mitgenommen aussah, war verschwommen in einer großen Plastiktüte zu erkennen, die der Mann in einer Hand hielt. »Lieutenant Chang«, verkündete Mrs. Hull, worauf sich Chang vor Hackworth verbeugte und ein wenig breiter lächelte, als es dem Anlaß angemessen zu sein schien. Hackworth erwiderte die Verbeugung. »Lieutenant Chang.«
    »Ich werde Sie nicht lange aufhalten, ich verspreche es«, sagte Chang in verständlichem, aber gebrochenem Englisch. »Im Verlaufe von Ermittlungen - Einzelheiten tun hier nichts zur Sache -, konnten wir dies einem Verdächtigen abnehmen. Er ist als Ihr Eigentum ausgewiesen. Auch wenn er nicht mehr zum Tragen geeignet ist – bitte nehmen Sie ihn zurück.«
    »Gut gemacht, Lieutenant«, sagte Hackworth, nahm die Tüte und hielt sie ans Licht. »Ich hatte nicht damit gerechnet, ihn überhaupt wieder zu Gesicht zu bekommen, und sei es in diesem erbärmlichen Zustand.«
    »Nun, ich fürchte, diese Jungs haben keinen Respekt vor einem anständigen Hut«, sagte Lieutenant Chang.
    Hackworth zögerte, da er nicht wußte, was man an diesem Punkt sagen sollte. Chang stand einfach nur da und schien sich in Hackworths Salon wohler zu fühlen als Hackworth selbst. Der erste Wortwechsel war einfach gewesen, doch nun fiel der Ost/West-Vorhang zwischen ihnen wie ein rostiges Hackbeil.
    War dies Teil einer offiziellen Etikette? Ein diskreter Wink mit dem Zaunpfahl, daß ein Trinkgeld angebracht wäre? Oder war Mr. Chang nur ein netter Mann?
    Im Zweifelsfall schien es ratsam, den Besuch lieber früher als später zu beenden. »Nun«, sagte Hackworth, »ich weiß nicht, weswegen Sie ihn festgenommen haben, und es ist mir auch egal, aber ich beglückwünsche Sie trotz allem dazu.«
    Lieutenant Chang verstand den Hinweis nicht, daß es Zeit war, sich zu verabschieden. Ganz im Gegenteil schien er jetzt ein bißchen verwirrt zu sein, während zuvor alles so einfach gewesen war.
    »Jetzt haben Sie mich neugierig gemacht«, sagte Chang. »Wie kommen Sie auf die Idee, daß jemand festgenommen worden ist?«
    Hackworth spürte, wie ein Speer sein Herz durchbohrte.
    »Sie sind ein Polizeibeamter und haben etwas bei sich, das nach einer Tüte für Beweismaterial aussieht«, sagte er. »Da scheint der Sachverhalt auf der Hand zu liegen.«
    Lieutenant Chang betrachtete die Türe mit übertrieben gespielter Verwirrung. »Beweismittel? Es ist nur eine Einkaufstüte - um Ihren Hut vor dem Regen zu schützen. Und ich bin keineswegs in meiner offiziellen Eigenschaft hier.«
    Ein zweiter Speer, rechtwinklig zum ersten.
    »Freilich«, fuhr Chang fort, »falls eine verbrecherische Handlung stattfand, von der man mich nicht in Kenntnis gesetzt hat, sollte ich diesen Besuch vielleicht in einem neuen Licht sehen.«
    Speer Nummer drei; nun saß Hackworths klopfendes Herz im Ursprung eines blutigen Koordinatensystems, das Lieutenant Chang

Weitere Kostenlose Bücher