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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Mitgliedern des CryptNet unterwandert ist. Ich selbst bin da eher skeptisch. Selbst wenn es stimmen würde, wäre es nur meine Sache, wenn sie innerhalb meiner Jurisdiktion Verbrechen begehen würden.«
    Und auch dann würde es schwerlich eine Rolle spielen, dachte Richter Fang bei sich, da die Chinesische Küstenrepublik schon unter den günstigsten Umständen ein Nest der Korruption und Intrigen war. Die ränkeschmiedenden Kriegsherren der Küstenrepublik hätten selbst die finsterste und mächtigste Verschwörung der Welt zerkaut und wieder ausgespuckt.
    Richter Fang stellte fest, daß alle ihn ansahen und darauf warteten, daß er fortfuhr.
    »Sie waren weggetreten, Euer Ehren«, sagte PhyrePhox.
    Richter Fang war in letzter Zeit recht häufig weggetreten gewesen, besonders wenn er über dieses Thema nachdachte. Korrupte und inkompetente Regierungen waren in China keineswegs etwas Neues, und der Meister selbst hatte viele Kapitel seiner
Analekten
darauf verwendet, seinen Schülern zu raten, wie sie sich im Dienste korrupter Herren verhalten sollten. »Ein wahrhaft überlegener Mann ist Chu Po-yu! Herrscht eine gute Regierung in seinem Staate, findet man ihn in seinem Büro. Herrscht eine schlechte Regierung in seinem Staate, kann er seine Prinzipien zusammenrollen und in die Brusttasche stecken.« Zu den großen Vorzügen des Konfuzianismus gehörte seine Geschmeidigkeit. Das politische Denken des Westens neigte eher zu Starrheit; sobald der Staat korrupt wurde, ergab nichts mehr einen Sinn. Der Konfuzianismus dagegen wahrte stets sein Gleichgewicht, wie ein Korken, der in klarem Quellwasser ebenso schwimmen konnte wie in brackigem Abwasser.
    Nichtsdestotrotz quälten Richter Fang in letzter Zeit häufig Zweifel daran, ob sein Leben vor dem Hintergrund der Küstenrepublik, einer Nation, in der Tugenden praktisch ausgestorben waren, überhaupt einen Sinn hatte.
    Wenn die Küstenrepublik auch nur an die
Existenz
von Tugenden geglaubt hätte, dann hätte sie wenigstens nach Scheinheiligkeit streben können.
    Er schweifte ab. Es ging nicht um das Thema, ob die Küstenrepublik weise regiert wurde. Es ging um das Thema Babyhandel.
    »Vor drei Monaten«, sagte Richter Fang, »sind Sie mit einem Luftschiff in Shanghai eingetroffen und, nach einem kurzen Aufenthalt, mit einem Luftkissenboot auf dem Jangtse ins Landesinnere weitergereist. Ihre offizielle Mission bestand darin, Material für eine mediagraphische Dokumentation über ein neues Verbrechersyndikat mit Namen« – Richter Fang sah in seinen Unterlagen nach - »Fäuste der Rechtschaffenen Harmonie zu sammeln.«
    »Das ist keine Schmalspurtriade«, sagte PhyrePhox mit einem triumphierenden Lächeln. »Sie sind die Keimzelle einer Umsturzbewegung.«
    »Ich habe die Medienberichte verfolgt, die Sie darüber der Außenwelt übermittelt haben«, sagte Richter Fang, »und werde mir mein eigenes Urteil bilden. Aber die Aussichten der Fäuste stehen hier nicht zur Debatte.«
    PhyrePhox war alles andere als überzeugt; er hob den Kopf und machte den Mund auf, um Richter Fang zu erklären, wie falsch er damit lag, doch dann überlegte er es sich anders, schüttelte bedauernd den Kopf und blieb stumm.
    »Vor zwei Tagen«, fuhr Richter Fang fort, »kehrten Sie mit einem Flußschiff nach Shanghai zurück, das mit mehreren Dutzend Passagieren überladen war, vorwiegend Bauern, die vor Hunger und Krieg im Landesinneren flohen.« Er las nun aus einem Bericht des Hafenmeisters von Shanghai ab, in dem die Ergebnisse der Untersuchung des fraglichen Schiffs detailliert aufgelistet waren. »Mir fällt auf, daß es sich bei mehreren Passagieren um Frauen handelte, die weibliche Säuglinge unter drei Monaten bei sich hatten. Das Schiff wurde nach Schmuggelware durchsucht und durfte in den Hafen einlaufen.« Richter Fang mußte nicht eigens erwähnen, daß das praktisch nichts zu sagen hatte; die Inspektoren waren notorisch unaufmerksam, besonders angesichts von Ablenkungen wie zum Beispiel Umschlägen voller Geld, frischen Kartons voll Zigaretten oder verdächtig anschmiegsamen jungen Passagierinnen. Doch je korrupter eine Gesellschaft war, desto mehr neigten ihre Vertreter dazu, jämmerliche interne Dokumente wie das vorliegende als heilige Schriften anzusehen, und Richter Fang bildete keine Ausnahme von dieser Regel, wenn es einem höheren Zweck diente. »Alle Passagiere, einschließlich der Säuglinge, wurden in der üblichen Weise behandelt, Netzhautmuster wurden aufgezeichnet,

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