Diana Palmer
leise: „Es ist mir wieder eingefallen. Es hatte Streit gegeben. Nell und J.B. haben sich angeschrien …“
„Aber das können Sie gar nicht gehört haben“, wandte Nell ein. „Sie waren doch schon aus der Tür und liefen zum Auto.“
Tellie sah den Wagen vor sich, die regennasse Straße. Sie spürte, wie der Wagen ins Rutschen kam, sich überschlug … Sie hielt sich das feuchte Tuch an die Stirn, das Nell ihr reichte. Wie in einem Videoclip durchzuckten sie zusammenhanglos und grell Bilder aus ihrem Gedächtnis. Sie sah J.B.s wutverzerrtes Gesicht, den Schmollmund einer Blondine. Es fielen laute, verletzende Worte, die sie, Tellie, nicht verstehen konnte und auch nicht verstehen wollte.
„Das Auto!“, rief sie aus. „Ich bin damit die Böschung hinuntergestürzt.“
Nell hatte sich neben sie gesetzt und legte ihr begütigend den Arm um die Schultern. „Es ist ja alles gut. Grange hat Sie aus dem Autowrack geholt. Gott sei Dank kam er gerade rechtzeitig vorbei.“
„Habe ich mich bei Ihnen überhaupt dafür bedankt, dass Sie mir das Leben gerettet haben?“, fragte Tellie.
Grange lächelte. „Natürlich haben Sie das. Wie fühlen Sie sich jetzt?“
„Ich weiß nicht. Es tut mir leid, dass ich mich so benehme, aber ich hatte so merkwürdige Erinnerungsfetzen, auf die ich mir keinen Reim machen kann.“
„Lassen Sie es gut sein, und denken Sie nicht mehr daran“, sagte Nell bestimmt. „Setzt euch jetzt an den Tisch und esst den Kuchen.“
Noch ein wenig unsicher erhob sich Tellie. Grange stützte sie dabei. Tellie stieß einen langen Seufzer aus und meinte: „Das war wohl alles ein bisschen viel die vergangenen Tage.“
Nell ging zurück in die Küche. „Dabei weißt du noch nicht einmal alles, mein Kind“, murmelte sie leise genug, dass die anderen beiden es nicht hören konnten.
Tags darauf, es war Sonnabend, ging Tellie in das große Stallgebäude. Sie hatte Nell gesagt, sie wolle nach einem kranken Kalb sehen. Nicht weit entfernt von der Box des Kalbes stand J.B.s Pferd, ein mächtiger schwarzer Hengst. Als Tellie an ihm vorbeiging, scharrte er mit den Hufen und schnaubte unruhig. Er liebte keine Störungen und duldete kaum jemanden anderen als J.B. in seiner Nähe. Ein Stück weiter stand an ihrem Trog eine hübsche Palomino-Stute. Als sie Tellie bemerkte, kam sie ans Boxengatter, um sie zu begrüßen und sich von ihr streicheln zu lassen.
„Hallo, Sand“, sagte Tellie leise und freute sich, dass ihr ohne weiteres der Name, eine Anspielung auf die Färbung der Stute, eingefallen war. Die Stute strich mit ihren fleischigen Lippen über ihre Handfläche, während Tellie ihr mit der anderen Hand über die Blesse auf der Stirn streichelte. Tellie und Sand verstanden sich gut. Wenn Tellie zu J.B. auf die Ranch kam, hatte er ihr die Stute oft zum Reiten überlassen.
Nach dieser freundlichen Begrüßung war Tellie guten Mutes, dass sich ihr Erinnerungsvermögen bald ganz von selbst wiederherstellen würde. Sie entschloss sich zu einem Spaziergang durch den Garten hinter dem Haus und machte sich auf den Weg.
Dort angekommen, hörte sie auf der anderen Seite des Hauses ein Auto vorfahren. Tellie wunderte sich, wer das sein konnte. J.B., so hatte Nell berichtet, würde vor Montag nicht wieder zurück sein. Es war schon merkwürdig, dass er so schnell und ohne Ankündigung verschwunden war, beinahe so, als hätte er ein schlechtes Gewissen. Etwas hatte sich verändert zwischen ihnen.
Vielleicht war es nur einer von J.B.s Leuten auf der Ranch. Durch den Hintereingang kehrte sie ins Haus zurück, um nachzusehen. Sie durchquerte die Halle und sah, dass die Wohnzimmertür offen stand. Tellie trat ein und sah sich einer blonden Frau gegenüber, die ihr nicht unbekannt vorkam.
Die Frau war eine auffällige Erscheinung. Man konnte sie eine Schönheit nennen. Sie hatte langes, sorgfältig gestyltes Haar, trug ein gelbes, eng anliegendes Minikleid, das ihre üppigen Formen betonte, und war eine Spur zu stark geschminkt.
Sie warf Tellie einen finsteren Blick zu. „Da ist ja das kleine Biest, dem ich es verdanke, dass J.B. mir verboten hat hierherzukommen.“
Tellie wäre am liebsten davongelaufen. Sie wollte mit dieser Frau nichts zu tun haben. Sie war eine Bedrohung.
Die Blonde bemerkte Tellies Unsicherheit und quittierte sie mit einem kalten Lächeln. „Jetzt tu nur nicht so, als kennst du mich nicht mehr“, sagte sie giftig. „Du bist doch hier hereingeplatzt, als ich mit J.B. hier auf
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