Diaspora
dann nicht etwas mehr als die unangenehmen Tatsachen hinterlassen? Ein paar Überlebenstips wären ganz praktisch gewesen.«
»Du solltest den Rest der Daten noch nicht verwerfen. Darin könnte noch alles mögliche verschlüsselt sein. Vorzugsweise Anleitungen, wie sich Wurmlöcher verkürzen lassen. Oder vielleicht eine zuverlässige Methode, wie sich der Durchgang versiegeln und wieder öffnen läßt, damit wir uns darin als Sequenz aus Nanomaschinen in Sicherheit bringen können, bis der Ausbruch vorbei ist.«
Diese Möglichkeit verursachte Yatima schwere Klaustrophobie, doch Gabriel war sogar noch weiter gegangen und hatte die Vermutung geäußert, daß der unentzifferte Teil der Neutronendaten die Transformer waren: digitale Snapshots, im Innern der Partikel bestattet, in der Hoffnung, daß eine Lebensform nach dem Ausbruch, sofern sich eine solche entwickelte, auf sie aufmerksam wurde und ihnen den Gefallen erwies, sie in die aktive Existenzform zurückzuholen. Falls es sich so verhielt, hatten sie keine offenkundigen Hinweise hinterlassen, wie sich ihre Zuflucht für andere nutzen ließ – und wenn sie schon vor Milliarden Jahren von dem Ausbruch gewußt hatten, war es wesentlich wahrscheinlicher, daß sie sich in eine andere Galaxis geflüchtet hatten, ob nun mittels Wurmloch oder konventionellerer Methoden.
»Du glaubst also«, sagte Paolo, »daß sie für die Warnung eine simple Pixelanordnung benutzten, um dann die hilfreichen Ratschläge in einer teuflischen Technik zu verschlüsseln? Warum? Um einige Spezies als Spreu vom Weizen zu trennen?«
Yatima schüttelte den Kopf und antwortete, ohne auf den Sarkasmus einzugehen. »Alles, was sie getan haben, erschien uns zunächst bizarr oder unklar – und anschließend völlig offensichtlich, nachdem wir es verstanden hatten. Ich glaube nicht, daß irgend etwas absichtlich geheimnisvoll gestaltet wurde. Und ich glaube auch nicht, daß ihr Geist sich so sehr von unserem unterscheidet, daß wir der Gefahr erliegen könnten, eine Botschaft mißzuverstehen, die den Anschein der Einfachheit erweckt. Bislang wäre es unser größter Fehler gewesen, wenn wir es aufgegeben hätten, die Isotope interpretieren zu wollen.
Aber sie mußten einfach von bestimmten Annahmen über unsere Denkweise und die von uns benutzte Technik ausgegangen sein – und in einigen dieser Annahmen müssen sie sich fast zwangsläufig getäuscht haben. Ich kann mir problemlos eine raumfahrende Zivilisation vorstellen, die nicht in einer Million Jahre auf die Idee gekommen wäre, das Neutronenphasenexperiment durchzuführen. Also könnte der Rest der Daten für uns unverständlich bleiben … aber nicht, weil sie uns übel wollten oder weil ihr gesamtes Begriffssystem außerhalb unseres Verständnisses liegt. Es wäre einfach nur Pech.«
Paolo gab sein süffisantes Lächeln toleranter Belustigung auf, als müßte er widerstrebend eingestehen, daß die Transformer vielleicht doch ganz nett waren, auch wenn diese Vorstellung etwas naiv wirkte. Yatima nutzte diesen Moment.
»Auch wenn du die Sache anders siehst, vergiß nicht, daß Orlando es keineswegs mit einem Achselzucken abtun kann. Alles erinnert ihn an Lacerta.«
»Das weiß ich«, sagte Paolo und blickte Yatima gereizt an. »Aber die Tatsache, daß es ihm schmerzliche Erinnerungen verursacht, ist kein Beweis für die Richtigkeit.«
»Nein.« Yatima wappnete sich und preschte weiter vor. »Ich will damit nur sagen, wenn er dich bittet, Maßnahmen für deine Sicherheit …«
»Ich werde mich nicht seinem Willen fügen.« Paolo lachte indigniert. »Und ich brauche keinen ehemaligen Konishi-Solipsisten, der mir etwas über das Trauma des carnevale erzählt!«
»Nein?« Yatima musterte sein Gesicht. »Vielleicht ist deine Mentalarchitektur seiner ähnlicher, aber du verhältst dich, als hättest du keine Ahnung, was er durchgemacht hat.«
Paolo wandte den Blick ab. »Ich weiß von Liana. Aber was hätte er tun können? Sie in den Introdus zwingen? Sie haben beide dieselbe Entscheidung getroffen. Es war nicht seine Schuld.« Er blickte trotzig auf. »Und wenn er mich vor dem Zentrumsausbruch rettet, bringt es sie nicht zurück.«
»Nein. Aber es dürfte ihm auch nicht weh tun.«
Nach einer Weile sagte Paolo mißmutig: »Ich könnte damit leben, tausend Jahre zu verlieren, indem ich mich in die Topographie eines Planeten codiere, während jeder Bürger der Diaspora, der noch bei Verstand ist, sich darüber kaputtlacht. Aber wenn ich
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