Diaspora
mit diesem Gleisner-Klon geschah …
Yatima löschte den Snapshot. Das hier war kein Treibsand. Es war keine Situation, die sie vorausgesehen hatten.
Hie kniete und wartete. Die Etiketten, die die Beschaffenheit des Bodens unter heinen Knien beschrieben, wurden zu einem irritierenden, monotonen Strom, und die seltsame starre Form, die seinem Icon aufgezwungen wurde, war noch irritierender – vielleicht weil beides so hervorragend seine Verzweiflung reflektierte. Hatte es bei Inoshiro genauso angefangen? Wenn hie noch länger hierblieb, würde hie dann ebenfalls beginnen, sich mit dem Schema heines Gleisner-Körpers zu identifizieren?
Nach fast einer Stunde stand Inoshiro auf und verließ die Enklave. Yatima folgte hie, während hie vor Erleichterung schwindelig war.
Als die Drohne in Inoshiros Nacken landete, hob hie die Hand, als wollte hie danach schlagen. Doch hie ließ es nicht dazu kommen. »Glaubst du«, fragte hie ruhig, »daß wir jemals zurückkommen werden?«
Yatima dachte lange über diese Frage nach. Wären dieser Ort und diese Freunde es ohne den Reiz der Einmaligkeit, der sie hierher gelockt hatte, erneut achthundertmal mehr als alles andere wert?
»Ich bezweifle es.«
ZWEITER TEIL
Als Paolo aufwachte und in die Landschaft trat, sagte Yatima: »Ich überlege gerade, was wir ihnen sagen sollten. Wenn sie fragen, warum wir ihnen gefolgt sind.«
Paolo lachte verbittert. »Erzähl ihnen von Lacerta.«
»Sie wissen über Lacerta Bescheid.«
»Als leuchtenden Punkt auf einer Karte. Sie wissen nicht, was es bewirkt hat. Sie wissen nicht, was es bedeutet.«
»Nein.« Yatima blickte auf Weyl, genau im Zentrum der Blauverschiebung. Hie wollte Paolo nicht mit Fragen über Atlanta verärgern, aber hie wollte hie auch nicht ausschließen. »Du kennst doch Karpal, oder?«
»Ja.« Paolo nahm das Präsens mit einem schwachen Lächeln zur Kenntnis.
»Und war er nicht auf dem Mond und hat TERAGO geleitet …?«
»Er hat alles getan, was in seiner Macht stand«, sagte Paolo kalt. »Es war nicht seine Schuld, daß der gesamte Planet schlafwandelte.«
»Das sehe ich genauso. Ich machte ihm keinerlei Vorwurf.« Yatima breitete beschwichtigend die Arme aus. »Ich frage mich nur, ob er jemals darüber gesprochen hat. Ob er dir jemals erzählt hat, wie er die Dinge sieht.«
Paolo nickte widerwillig. »Er hat darüber gesprochen. Einmal.«
4 Lacerta
Bullialdus-Observatorium, Mond
24 046 104 526 757 KSZ
2. April 2996, 16:42:03.911 WZ
Karpal lag einen vollen lunaren Monat lang mit dem Rücken auf dem Regolith und starrte in die kristalline Stille des Universums, um es herauszufordern, ihm etwas Neues zu zeigen. Er hatte es schon fünfmal zuvor getan, doch bisher hatte sich innerhalb der Reichweite seines unbewaffneten Auges niemals etwas verändert. Die Planeten bewegten sich auf ihren berechenbaren Bahnen, und gelegentlich wurde ein heller Asteroid oder Komet sichtbar, aber sie waren wie vorbeiziehende Raumschiffe: Störfaktoren im Vordergrund, die nicht zum eigentlichen Bild gehörten. Wenn man Jupiter aus der Nähe gesehen hatte – mit eigenen Augen –, betrachtete man den Planeten nicht mehr als Objekt ernsthafter astronomischer Studien, sondern eher als Quelle, von der Lichtverschmutzung und elektromagnetischer Lärm ausging. Karpal wollte, daß unvorhersehbar eine Supernova in der Finsternis erstrahlte, eine ferne Apokalypse, die die Neutrinodetektoren aufschreien ließ – keine friedfertigen Konjunktionen innerhalb des Uhrwerks des Sonnensystems, die so bemerkenswert und aufregend waren wie ein Versorgungsshuttle, das pünktlich eintraf.
Als wieder die schwach rötliche Scheibe der Neuerde neben der grellen Sonne stand, erhob sich Karpal vom Boden und bewegte vorsichtig die Arme, um sich zu überzeugen, daß keiner seiner Aktuatoren durch die thermische Belastung geschwächt worden war. Falls doch, würde die Nanoware nicht lange brauchen, um die Mikrofrakturen zu glätten. Trotzdem mußte jedes Gelenk durch Benutzung überprüft werden, um das Problem zu registrieren und die Reparatur zu veranlassen.
Mit ihm war alles in Ordnung. Er ging langsam zur Instrumentenbaracke am Rand des Bullialdus-Kraters zurück. Das Gebäude war nicht gegen das Vakuum isoliert, aber es schützte die Ausrüstung zu einem gewissen Grad vor Temperaturextremen, harter Strahlung und Mikrometeoriten. Dahinter ragte der Kraterwall auf, der siebzig Kilometer durchmaß. Karpal konnte gerade noch die
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