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Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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forderte die Carter-Zimmerman-Bibliothek auf, ihm jeden verfügbaren Plan zur Schaffung eines passierbaren Wurmloches zu zeigen. Das Problem war bereits untersucht worden, als die nötige Technik noch nicht einmal ansatzweise vorhanden war, entweder als Übung in Theoretischer Physik oder als Versuch, die Möglichkeiten künftiger Zivilisationen zu erkunden. Es wäre ihm als grober Undank und Verschwendung von Ressourcen vorgekommen, die Früchte all dieser uralten Arbeiten zu ignorieren und ganz von vorne anzufangen. Also hatte Gabriel sich freiwillig bereit erklärt, all die in der Vergangenheit befürworteten Methoden und Maschinen zu inspizieren, damit anschließend die zehn meistversprechenden Kandidaten detailliert auf ihre Realisierbarkeit untersucht werden konnten.
    Die Bibliothek konstruierte unverzüglich eine Index-Landschaft mit 3017 unterschiedlichen Entwürfen, die als evolutionärer Stammbaum der Ideen angeordnet waren, der sich über viele hundert Kilodelta des imaginären Vakuums erstreckte. Gabriel war einen Moment lang bestürzt. Er war sich der Anzahl bewußt gewesen, doch die sichtbare Geschichte des Themas war nichtsdestoweniger ein ernüchternder Anblick. Die Menschen hatten seit fast einem Jahrtausend über Reisen durch Wurmlöcher nachgedacht. Der Zeitraum erweiterte sich, wenn man die frühen Entwürfe berücksichtigte, die auf der klassischen Allgemeinen Relativitätstheorie basierten, doch erst mit der Kozuch-Theorie hatte sich das Feld zu voller Blüte entwickelt.
    Nach der Kozuch-Theorie gab es überall Wurmlöcher. Selbst das Vakuum bestand aus einem Schaum voller kurzlebiger Wurmlöcher, wenn man es in der Größenordnung der Planck-Wheeler-Länge von zehn hoch minus fünfunddreißig Metern betrachtete. Bereits 1955 hatte John Wheeler vorgeschlagen, daß die scheinbar glatte Raumzeit der Allgemeinen Relativitätstheorie sich in diesem Maßstab in ein verworrenes Labyrinth aus Quanten-Wurmlöchern verwandelte, doch es war eine ganz andere Idee von Wheeler gewesen, die schließlich einhundert Jahre später von Renata Kozuch mit spektakulären Ergebnissen auf eine solide Grundlage gestellt worden war. Damit hatten sich diese Wurmlöcher von obskuren Kuriositäten unterhalb der Wahrnehmbarkeitsschwelle in die wichtigsten Strukturen der Physik verwandelt. Die Elementarteilchen selbst waren die Öffnungen von Wurmlöchern. Elektronen, Quarks, Neutrinos, Photonen, W-Z-Bosonen, Gravitonen und Gluonen waren allesamt nur langlebigere Versionen der flüchtigeren Wurmlöcher des Vakuums.
    Kozuch hatte mehr als zwanzig Jahre lang daran gearbeitet, diese Hypothese zu verfeinern, indem sie interessante, aber nur bedingt brauchbare Resultate aus Dutzenden anderer Spezialgebiete miteinander verknüpfte und alles ausschlachtete, von den Spin-Netzwerken eines Penrose bis zu den kompakten Extra-Dimensionen der Stringtheorie. Durch die Einbeziehung von sechs submikroskopischen Dimensionen neben den gewöhnlichen vier der Raumzeit hatte sie demonstrieren können, wie Wurmlöcher mit unterschiedlichen Topologien die Eigenschaften aller bekannten Teilchen erklären konnten. Niemand hatte ein Kozuch-Wheeler-Wurmloch direkt beobachten können, doch nachdem das Modell ein Jahrtausend voller experimenteller Überprüfungen überstanden hatte, war es allgemein akzeptiert – nicht als bestes Werkzeug für die meisten praktischen Berechnungen, sondern als definitive Erklärung für die grundlegende Ordnung der physikalischen Welt.
    Gabriel hatte die Kozuch-Theorie bereits in der Plazenta gelernt, und sie war ihm immer als das umfassendste und klarste verfügbare Bild der Realität erschienen. Die Masse eines Teilchens war eine Konsequenz der Verzerrung, die es auf eine bestimmte Klasse von Vakuum-Wurmlöchern ausübte: jene mit virtuellen Gravitonen an beiden Enden. Eine Störung des normalen Musters der Verbindungen zwischen den Wurmlöchern hatte eine Krümmung der Raumzeit zur Folge, ähnlich wie eine Veränderung im Webmuster eines Korbes die Oberfläche so verbog, daß parallele Stränge sich annäherten. Außerdem gab es ein paar lose Enden: andere Wurmlöcher, die durch ›dichteres Gewebe‹ aus dem Vakuum verdrängt wurden, wo die Raumzeit gekrümmt war, worauf sowohl die Hawking-Strahlung von Schwarzen Löchern als auch die wesentlich schwächere Unruh-Strahlung gewöhnlicher Objekte zurückzuführen war.
    Ladung, Farbe und Flavor gingen auf ähnliche Effekte zurück, an denen jedoch virtuelle Photonen,

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