Diaspora
sanktioniert, wie die Unzulänglichkeiten des Fleisches für die Statischen heilig gewesen waren.
Das FWL traf in der Gammastrahlenkammer ein, worauf es mit einer Serie intensiver Pulse bombardiert wurde. Die Gamma-Photonen besaßen eine Wellenlänge von etwa zehn hoch minus fünfzehn Metern, was ungefähr dem Durchmesser der FWLs entsprach. Die Wellenlänge eines Photons hatte nichts mit der Größe seiner Wurmloch-Öffnung zu tun, aber sie war ein Maß für die Genauigkeit, mit der es sich lokalisieren und als Ziel benutzen ließ.
Blanca protestierte halb im Scherz: »Warum konntet ihr den Lift nicht so positionieren, daß die Zeitverzögerungen identisch sind?« Im gleichen Augenblick hätte die andere Öffnung des Wurmlochs Gammastrahlen aussenden müssen, doch das andere Ende des Beschleunigers war drei Milliarden Kilometer weiter von der Erde entfernt als dieses. Also würden weitere drei Stunden vergehen, bis sie erfuhren, was dort geschehen war – vor achtundsechzig Stunden.
Gabriel verteidigte sich geistesabwesend. »Es war ein Kompromiß. Die Gefahr durch Kometen, der Ausgleich von Gravitationseffekten …« Blanca folgte seinem Blick auf das flackernde Leuchten der Gammastrahlung und wußte sofort, woran er dachte. Die Vorgänge, die sie hier beobachteten, eröffneten eine Reihe von sehr ungewöhnlichen Möglichkeiten. Für einen hypothetischen Beobachter, der entlang der Achse des Beschleunigers zum anderen Ende flog, kamen diese Photonen, die schneller als das Licht transportiert wurden, aus dem Wurmloch, bevor sie eingetreten waren. Diese zeitliche Anordnung der Ereignisse war jedoch größtenteils akademisch, denn der Beobachter würde es erst erfahren, nachdem genügend Zeit verstrichen war, bis Photonen von beiden Enden ihn erreicht hatten. Doch wenn er zufällig ein eigenes Wurmloch mit sich führte, das mit einem in der Hand eines Komplizen verbunden war, der ihm in einem zweiten Raumschiff folgte, dann konnte der Reisende, während er das andere Ende des Lifts erreichte, dem Komplizen signalisieren, die Gammastrahlenquelle an jenem Ende zu zerstören … zu einem Zeitpunkt, zu dem die Photonen, die er soeben beobachtet hatte, noch gar nicht abgeschickt worden waren.
Sobald sie ein zweites Wurmloch zur Verfügung hatten, wäre die Lift-Gruppe in der Lage, dieses uralte Gedankenexperiment zu verwirklichen. Die wahrscheinlichste Lösung des Paradoxons hatte mit virtuellen Teilchen zu tun – den Öffnungen von Vakuum-Wurmlöchern –, die sich in einer Schleife zwischen dem Wurmloch des Lifts und dem in den Raumschiffen bewegten. Virtuelle Teilchen bewegten sich ständig auf jedem möglichen Weg durch die Raumzeit, und obwohl sie eine gewisse Zeit benötigten, sich zwischen den Öffnungen der zwei Wurmlöcher durch den gewöhnlichen Raum zu bewegen, würden sie in die Vergangenheit geraten, wenn sie durch das Wurmloch zwischen den Schiffen flogen, womit sich die Gesamtzeit für einen Durchgang durch die Schleife reduzierte. Wenn sich die zwei Raumschiffe dem Punkt näherten, an dem ein Signal aus der Zukunft in die Vergangenheit reisen konnte, ging die Zeitdauer für einen Schleifendurchgang gegen Null, was zur Folge hatte, daß jedes virtuelle Teilchen nun von einer exponentiell wachsenden Armee von Doppelgängern verfolgt wurde, zukünftigen Versionen dieses Teilchens, die die Reise bereits hinter sich hatten. Und während sich ihre Phasen immer exakter aufeinander abstimmten, mußte die rapide zunehmende Energiedichte die Öffnungen der Wurmlöcher zur Implosion bringen. Die entstehenden winzigen Schwarzen Löcher würden sich kurz darauf als Hawking-Strahlung verflüchtigen.
Dies hatte ernsthafte praktische Konsequenzen – abgesehen von der Unmöglichkeit, durch die Zeit zu reisen. Wenn die Galaxis einmal kreuz und quer von Wurmlöchern durchzogen war, würden sich überall Schleifen aus virtuellen Teilchen bilden, und eine sorglose Manipulation der Wurmloch-Öffnungen konnte dazu führen, daß das gesamte Netzwerk vernichtet wurde.
»Es ist fast soweit«, sagte Gabriel. »Sollen wir …?« Sie sprangen zum anderen Ende des Lifts, wo die Landschaft die aktuellsten verfügbaren Daten zeigte – zu einem Zeitpunkt wenige Minuten vor dem Beginn des Gammastrahlen-Bombardements. Das zweite FWL befand sich in einer Beobachtungskammer, wo es ständig von einer zylindrischen Anordnung von Gamma-Detektoren überwacht wurde und gelegentlich von UV-Lasern einen kleinen Schubs erhielt, um es genau in
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