Diaspora
der Mitte zu halten. Die schwache Streuung der Laser war das einzige Anzeichen, daß es wirklich vorhanden war. Ohne elektrische Ladung oder magnetischen Impuls war es viel unscheinbarer als ein einzelnes Atom.
»Meinst du nicht, daß wir bei den anderen sein sollten?« Blanca hatte so lange mit der fernen Erfolgsaussicht des Lifts gelebt, daß es schwierig war, etwas bei diesem ersten mikroskopischen Hinweis auf das, was vor ihnen lag, zu empfinden. Doch wenn sie tatsächlich an der Schwelle einer Veränderung standen, die die Geschichte der Koalition für die nächsten zehntausend Jahre nachhaltig prägen würde, schien es hie durchaus angemessen, das Ereignis öffentlich zu feiern.
»Ich dachte, es würde dir gefallen.« Gabriel lachte knapp und beleidigt. »Nach achthundert Jahren sind wir in diesem Augenblick zusammen. Bedeutet dir das überhaupt nichts?«
Blanca strich über seinen Rücken. »Ich bin zutiefst gerührt. Aber glaubst du nicht, daß du es deinen Kollegen schuldig bist …?«
Er löste sich verärgert von ihr. »Also gut. Wenn du unbedingt willst. Dann werden wir uns ins Getümmel stürzen.«
Er sprang. Blanca folgte ihm. Als sie erneut in die Landschaft eintraten, diesmal über die öffentliche Adresse, schien sie auf dramatische Weise zu expandieren. Die Hälfte der Bevölkerung von Carter-Zimmerman schwebte im Raum über der Beobachtungskammer. Das Bild hatte einen anderen Maßstab als vorher, damit alle hineinpaßten.
Gabriel wurde sofort von vielen Leuten erkannt, die sich um ihn scharten, um ihn zu beglückwünschen. Blanca entfernte sich ein Stück und hörte den aufgeregten Gratulanten zu.
»Es ist soweit! Kannst du dir vorstellen, wie die Gleisner reagieren, wenn sie am nächsten Stern eintreffen und feststellen müssen, daß wir schon vor ihnen da sind?« Das Icon dieses Bürgers war ein affenförmiger Käfig, in dem ständig kleine gelbe Vögel herumflatterten.
Gabriels Antwort war diplomatisch. »Wir werden ihren Zielsystemen aus dem Weg gehen. So war es von Anfang an geplant.«
»Ich meine gar nicht, daß wir in Konkurrenz zu ihnen das gesamte System erkunden sollten. Wir sollten nur ein unmißverständliches Zeichen hinterlassen.« Blanca überlegte, ob hie einwerfen sollte, daß die ersten paar tausend Wurmlöcher, die sie erweiterten, mit hoher Wahrscheinlichkeit keins der Zielsysteme der Gleisner einschlossen, doch dann verzichtete hie darauf.
Beim Sprung in die Landschaft waren sie automatisch an den durchschnittlichen Zeitablauf der Anwesenden angepaßt worden, eine Rate von etwa einhunderttausend. Die Welt fluktuierte jedoch, da einige Leute ungeduldig wurden, während andere die Spannung hinauszögern wollten. Blanca ließ sich mit dem Durchschnitt treiben und genoß es, von den Launen der Menge durch die Zeit gedrängt zu werden. Hie durchstreifte die Landschaft und tauschte Höflichkeiten mit Fremden aus, während es hie schwerfiel, die gewaltige Maschinerie der Beobachtungskammer ernst zu nehmen, nachdem hie sie zuvor in einem Maßstab erlebt hatte, in dem kaum genügend Platz gewesen war, um die Arme auszubreiten. Hie entdeckte Yatima in der Ferne – das Waisenkind führte ein angeregtes Gespräch mit anderen Mitgliedern der Lift-Gruppe – und empfand einen amüsanten Anflug von beinahe elterlichem Stolz. Obwohl die meisten Fähigkeiten, die das Waisenkind von hie gelernt hatte, für einen Konishi-Wissenssucher von größerem Nutzen als für einen C-Z-Physiker gewesen wären.
Als der Augenblick näher rückte, zählten die Leute den Countdown im Chor mit. Blanca suchte nach Gabriel. Eine Schar aus Fremden drängte sich demonstrativ um ihn, doch als er sah, wie hie sich näherte, löste er sich von ihnen.
»Fünf!«
Gabriel nahm Blancas Hand. »Es tut mir leid.«
»Vier!«
Er sagte: »Ich wollte nicht bei den anderen sein. Ich wollte bei niemandem außer dir sein.«
»Drei!«
Angst flackerte in seinen Augen auf. »Mein Vademecum ist darauf programmiert, mich abzuschirmen, aber ich weiß trotzdem nicht, wie ich es aufnehmen werde.«
»Zwei!«
»Wenn wir den Durchgang durch ein Wurmloch geschafft haben, ist der Rest nur noch Massenproduktion. Ich habe dies zum Sinn und Zweck meines ganzen Lebens gemacht.«
»EINS!«
»Ich kann mir ein neues Ziel suchen … aber wer werde ich dann sein?«
Blanca hob die Hand und berührte seine Wange, da hie nicht wußte, was hie sagen sollte. Hein eigenes Vademecum war längst nicht so konzentriert; hie hatte noch nie
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