Diaspora
Risiko der Gewinnung besserer Daten den Kopf zermartern, könnten ganze Spezies entstehen und vergehen. Die Teppiche – und wer weiß, was noch – könnten aussterben, bevor wir irgend etwas Näheres über sie erfahren haben. Das wäre eine Verschwendung ohnegleichen!«
Liesl blieb hartnäckig.
»Und wenn wir durch übereiltes Vordringen die Ökologie von Orpheus zerstören – oder die Kultur? Das wäre keine Verschwendung, sondern eine Tragödie ohnegleichen.«
Paolo assimilierte alle gespeicherten Übertragungen von seinem Erden-Ich – die fast dreihundert Jahre umfaßten –, bevor er eine Antwort zusammenstellte. Die früheren Kommunikationen enthielten detaillierte Emotiogramme, und es war gut, die Aufregung des Starts der Diaspora nachzuerleben, nahezu aus erster Hand die tausend Schiffe zu beobachten, von Nanomaschinen aus Asteroiden geschnitzt, die unter greller Gamma-Vernichtungsstrahlung aufbrachen. Dann widmeten sie sich wieder den gewöhnlichen prosaischen Dingen. Elena, ihre Freunde, schamlose Klatschgeschichten, die laufenden C-Z-Forschungsprojekte, das Gewirr kultureller Spannungen zwischen den Poleis, die nicht ganz zyklischen Revolutionen der Künste (die Perzeptionsästhetik löste wieder einmal den Emotionalismus ab … obwohl Valladas aus der Konishi-Polis behauptete, eine neue Synthese aus beiden Richtungen entwickelt zu haben).
Nach fünfzig Jahren hielt sein Erden-Ich immer mehr Dinge zurück. Als die Nachricht von der Zerstörung des Fomalhaut-Klons die Erde erreichte, hatten sich die Botschaften zu reinen Gestalt- und Linear-Monologen reduziert. Paolo hatte Verständnis dafür. Es war völlig richtig; sie hatten sich auseinanderentwickelt, und man schickte keine Emotiogramme an Fremde.
Die meisten Übertragungen waren wahllos an alle Schiffe gesendet worden. Vor dreiundvierzig Jahren jedoch hatte sein Erden-Ich eine spezielle Botschaft an den Wega-Klon geschickt.
»Das neue lunare Spektroskop, das wir letztes Jahr fertiggestellt haben, hat eindeutige Anzeichen für Wasser auf Orpheus entdeckt. Euch dürften große Ozeane mit gemäßigten Temperaturen erwarten, wenn die Modelle korrekt sind. Also … viel Glück.« Das Bild zeigte, wie die Instrumentenkuppeln aus dem Felsen der Mondrückseite wuchsen, dann Diagramme der Spektraldaten von Orpheus, dann eine Sammlung von Planetenmodellen. »Vielleicht kommt es dir seltsam vor, daß wir so große Anstrengungen unternehmen, um einen fernen Blick auf das zu werfen, was ihr demnächst aus der Nähe sehen werdet. Es ist schwierig zu erklären: Ich glaube nicht, daß es Eifersucht oder auch nur Ungeduld ist. Nur das Bedürfnis nach Unabhängigkeit.
Die alte Debatte ist wieder aufgelebt: Sollten wir nach dem Scheitern der Wurmlöcher daran denken, unseren Geist zu modifizieren, um interstellare Entfernungen zu umfassen? Ein Ich, das Tausende von Sternen erreichen kann, nicht durch Klonen, sondern durch Anpassung an den natürlichen Zeitmaßstab der Verzögerung durch die Lichtgeschwindigkeit. Jahrtausende, die zwischen mentalen Ereignissen vergehen. Lokale Eventualitäten, die von nicht-bewußten Systemen bewältigt werden.« Pro- und Kontra-Essays waren angehängt; Paolo las die Zusammenfassungen. »Ich glaube allerdings nicht, daß die Idee viel Unterstützung gewinnen wird – zumal die neuen astronomischen Projekte eher in eine andere Richtung weisen. Wir können die Sterne wie bisher aus der Ferne beobachten, aber wir müssen uns mit der Tatsache abfinden, daß wir zurückgeblieben sind.
Ich frage mich jedoch, wohin wir von hier aus gehen werden. Die Geschichte kann uns kein Leitfaden sein. Auch nicht die Evolution. Die C-Z-Charta sagt, daß wir das Universum verstehen und respektieren sollen … aber in welcher Form? In welchem Maßstab? Wir können alles mögliche werden – dieser Raum der möglichen Zukünfte läßt die Galaxis zusammenschrumpfen. Können wir sie erkunden, ohne uns zu verirren? Die Körperlichen haben früher Phantasien ausgesponnen, in denen Aliens kommen, um die Erde zu ›erobern‹, ihre ›wertvollen‹ physikalischen Ressourcen auszubeuten, sie aus Angst vor ›Konkurrenz‹ auszulöschen … als hätte eine Spezies mit der Fähigkeit, eine solche Reise zu unternehmen, nicht gleichzeitig die Macht oder den Verstand oder die Einbildungskraft, sich von überholten biologischen Imperativen zu befreien. Eine Eroberung der Galaxis ist das, was Bakterien mit Raumschiffen tun würden – die es nicht besser
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