Diaspora
Sie begrüßten Paolo und tadelten ihn, daß er keine Vorkehrungen getroffen hatte, früher aufzuwachen. Er war der letzte der Gruppe, der den Tiefschlafzustand verlassen hatte.
»Gefällt dir unser bescheidener neuer Treffpunkt?« Hermann schwebte an Paolos Schulter vorbei, eine Chimäre aus kombinierten Gliedmaßen und Sinnesorganen, die in moduliertem Infrarot durch das Vakuum sprach. »Wir nennen ihn den Pinatubo-Satelliten. Ich weiß, hier oben ist es öde, aber wir befürchteten, gegen den Geist der Vorsicht zu verstoßen, wenn wir vorgegeben hätten, über Orpheus' simulierte Oberfläche zu wandeln.«
Paolo betrachtete mental die Nahaufnahme einer Scoutsonde von einem typischen Ausschnitt des trockenen Landes, das aus leblosen roten Felsen bestand. »Da unten scheint es noch öder zu sein.« Es reizte ihn, den Boden zu berühren – seine privaten visuellen Eindrücke zu taktilen werden zu lassen –, doch er konnte der Versuchung widerstehen. Es war schlechtes Benehmen, sich mitten in einem Gespräch irgendwo anders zu befinden.
»Hör nicht auf Hermann. Er will Orpheus mit unseren fremden Maschinen überschwemmen, bevor wir die geringste Ahnung von den möglichen Auswirkungen haben.« Liesl war ein grün-türkiser Schmetterling mit einem Gesicht aus stilisierten goldenen Tupfen auf jedem Flügel.
Paolo war überrascht. Nach Elenas Worten hatte er angenommen, daß seine Freunde zu einem Konsens zugunsten der Mikrosonden gekommen waren und daß nur ein Langschläfer, dem das Thema neu war, wegen dieses Punktes Bedenken haben könnte. »Welche Auswirkungen? Die Teppiche …«
»Vergiß die Teppiche! Selbst wenn die Teppiche so primitiv sind, wie sie aussehen, wissen wir nicht, was sich ansonsten noch da unten befindet.« Während Liesls Flügel flatterten, schienen sich ihre Spiegelbildgesichter beifallheischende Blicke zuzuwerfen. »Das Neutrino-Imaging erzielt bestenfalls eine räumliche Auflösung in Metern und eine zeitliche in Sekunden. Wir wissen überhaupt nichts über kleinere Lebensformen.«
»Und wir werden niemals etwas erfahren, wenn es nach euch geht.« Karpal – ein Ex-Gleisner, wie immer in der Gestalt eines Ex-Körperlichen – war Liesls Liebhaber gewesen, als Paolo zuletzt wach gewesen war.
»Wir sind erst den Bruchteil eines Orpheus-Jahres hier! Es gibt immer noch jede Menge Daten, die wir ohne Penetration und mit ein wenig Geduld sammeln können. In seltenen Fällen könnte ozeanisches Leben an Land gespült werden …«
»Das wären in der Tat äußerst seltene Fälle«, sagte Elena trocken. »Orpheus' Gezeiten sind unwesentlich, die Wellen seicht, die Stürme rar. Und alles, was an Land gespült würde, wäre sofort von der UV-Strahlung gegrillt, bevor wir irgend etwas Aufschlußreicheres erfahren hätten, als wir ohnehin im Oberflächenwasser beobachten können.«
»Nicht unbedingt. Die Teppiche scheinen sehr verletzlich zu sein, aber andere Spezies könnten besser geschützt sein, wenn sie näher an der Oberfläche leben. Und Orpheus ist seismisch aktiv, wir sollten also mindestens abwarten, bis ein Tsunami einige Kubikkilometer Ozean auf eine Küste wirft, und sehen, was sich uns offenbart.«
Paolo lächelte, denn daran hatte er nicht gedacht. Es könnte sich lohnen, auf einen Tsunami zu warten.
»Was hätten wir zu verlieren«, fragte Liesl, »wenn wir ein paar hundert Orpheus-Jahre warten? Zumindest könnten wir grundlegende Daten über jahreszeitliche Klimaveränderungen sammeln – und wir könnten nach Anomalien, nach Stürmen oder Erdbeben Ausschau halten und hoffen, daß sie uns etwas enthüllen.«
Ein paar hundert Orpheus-Jahre? Ein paar irdische Jahrtausende? Paolos Ambivalenz schwand. Wenn er in geologischen Zeitskalen hätte leben wollen, wäre er in die Lokhande-Polis migriert, wo der Orden der Kontemplativen Beobachter schnell genug durch die Zeit raste, um die Erosion irdischer Gebirge innerhalb weniger Kilotau erleben zu können. Orpheus hing unter ihnen im Himmel, ein wunderbares Geheimnis, das darauf wartete, entschlüsselt und verstanden zu werden.
Er sagte: »Aber was ist, wenn sich uns nichts ›offenbart‹ oder ›enthüllt‹? Wie lange wollen wir warten? Wir wissen nicht, wie selten Leben ist – sowohl in Zeit als auch in Raum. Wenn dieser Planet eine kostbare Ausnahme darstellt, dann gilt das gleiche für die Epoche, die er gerade durchlebt. Wir wissen nicht, wie schnell die Evolution der orphischen Biologie stattfindet. Während wir uns über das
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