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Dich schlafen sehen

Dich schlafen sehen

Titel: Dich schlafen sehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brasme
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dir sein, Charlène? Du kannst dich weder so akzeptieren, wie du bist, noch kannst du Verantwortung übernehmen. Du brauchst ständig jemand, an den du dich klammern kannst, von dem du psychisch abhängig bist. Du weißt, ich werde nicht immer da sein, um dir Entscheidungen abzunehmen. Ich habe mein eigenes Leben. Gib dir einen Ruck und sieh endlich zu, dass du selbstständiger wirst! Ich habe es langsam satt, einem Mädchen ohne Persönlichkeit helfen zu müssen.«
    »Du hast Recht. Entschuldige.«
    »Entschuldige, entschuldige... mehr fällt dir nicht ein. Du hast keine Zukunft. Du lässt dir ständig auf die Füße treten, meine arme Charlène. Wenn du nichts tust, um etwas erwachsener zu werden, wirst du dein Leben als Sklavin beschließen, auf Gedeih und Verderb dem erstbesten Mann ausgeliefert, der weiß, wie er dich behandeln muss. Wie bescheuert du manchmal sein kannst!«
    Natürlich hätte ich mir das nicht anhören müssen, aber es war zu schwer, ihr zu widersprechen. Ich wusste nicht mehr, wer ich war. Also ließ ich mich davon überzeugen, dass meine Eltern mir zu viele Freiheiten gelassen hätten, dass ich wahrscheinlich etwas reifer gewesen wäre, hätten sie mich strenger erzogen. Sie musste Recht haben. Ich nahm meinen Eltern übel, was sie aus mir gemacht hatten, nur weil Sarah damit unzufrieden war.
    Obwohl ich krankhafte Angst vor dem Reiten hatte, begleitete ich sie häufig zum Reitstall der Ferienkolonie. Zweimal meldeten wir uns zu einem organisierten Ausritt um die Sümpfe an. Sarah hatte sich einen Freund angelacht, einer der Betreuer im Reitstall. Er war achtzehn Jahre alt und hieß Matthieu. Sein Vater war Gardian, und er selbst jobbte hier in den Ferien, um sich das Studium zu verdienen. Er war ein phantastischer Reiter. Ich sehe die beiden noch vor mir, wie sie Seite an Seite vor mir herritten und sich unterhielten. Matthieu sah gut aus. Heimlich – um nicht Sarahs Verdacht zu erregen – betrachtete ich seine sonnengebräunte Haut, seinen Körper, dessen Silhouette sich gegen den Abendhimmel abhob, und seine fröhlichen, im Gegenlicht verschwimmenden Augen, und ich schämte mich beinahe dafür, dass ich mich zu ihm hingezogen fühlte. Er sprach mit dem singenden Tonfall der Einheimischen, für den Sarah eine Schwäche hatte. Am Abend ging er mit Sarah und mir in die Bar des Clubs, um etwas zu trinken, und dann lud er uns zu einem Mitternachtsbad im Swimmingpool ein. Ich hörte Sarah lachen, als er es ihr ins Ohr flüsterte. Ich ertappte ihn dabei, wie er sie begehrlich ansah. Es wurde bereits dunkel, als wir beide am Ufer des Teichs entlang nach Hause gingen, und ich hörte ihr zu, während sie unentwegt von ihm sprach. Ich versuchte, ihr zu sagen, was sie hören wollte: dass es zwischen ihnen nur klappen konnte. In Wahrheit machte es mich jedes Mal rasend, wenn ich ihr Glück anerkennen musste.
    Und Sarah vergaß mich. Wieder einmal.
    Abend für Abend schlüpfte sie allein durch das Fenster unseres Zimmers, damit meine Eltern nichts merkten, und kam erst spät in der Nacht wieder. Ich hoffte jedes Mal, sie würde mir bei ihrer Rückkehr sagen, dass es zwischen ihnen aus sei. Doch es änderte sich nichts. Ich konnte nicht einschlafen, solange sie fort war. Und wenn sie endlich kam, schloss ich die Augen und stellte mich schlafend, als hätte ich nicht auf sie gewartet. Ich hörte das Rascheln der Laken, wenn sie ins Bett schlüpfte, und gleich darauf ihren kaum vernehmlichen Atem in der Stille der Nacht. In meinem Innersten, ohne es mir einzugestehen, hasste ich sie.
    Matthieu ging weiter mit Sarah aus, nun aber ohne mich dazu einzuladen. Im Übrigen hatte sie mir zu verstehen gegeben, dass sie mich nicht mehr brauchte. Ich ließ sie gewähren und begnügte mich damit, sie hasserfüllt von weitem zu beobachten.
    Ich war allein, aber Sarah war das egal. Mir auch. Ich hatte eine recht unterhaltsame Beschäftigung gefunden, um meine leeren Tage auszufüllen: Ich spionierte ihr nach. Von morgens bis abends folgte ich ihr. Ich lebte alles mit, jede Bewegung von ihr, jedes Wort von ihr, alles, was sie unternahm. Und es schien sie nicht zu stören, ganz im Gegenteil. Wir hatten eine stillschweigende Übereinkunft getroffen: Ich ließ sie mit ihren neuen Freunden in Ruhe, und dafür duldete sie meine Gegenwart.
    Am Morgen erwachte ich und schlich so leise wie möglich aus dem Zimmer, um sie nicht im Schlaf zu stören. Ich ging zu meinen Eltern auf die Terrasse, und wir frühstückten in

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