Dichterliebe: Roman (German Edition)
in Händen. Der Porsche.
» Tausendsiebenhundertfünfzig! Im Vierteljahr! Da zahlst du ja in einem Jahr mehr für die Versicherung, als das ganze Ding gekostet hat!«
» Das liegt an dem blöden Unfall …«
Mit wieviel Promille?
Nein, das hat sie nicht gefragt. Diskrete Sidonie. Freilich, sie denkt darüber nach, ich sehe den Anflug von Fragen hinter der glatten Stirn.
» So ein Porsche könnte deine Chance auf Prozeßkostenbeihilfe mindern«, sagt sie nach einigem Nachdenken. » Hast du deinen Anwalt gefragt, wie er das sieht?«
Ich antworte nicht. Wir arbeiten weiter. Sie dringt nicht in mich, dabei ist sie neugierig, meine Sidonie, unverhohlen neugierig. Sie hat, um es genau zu sagen, etwas Vampirhaftes. Vielleicht ist sie doch eine Künstlerin. Dann muß ich mich vorsehen.
» Warum hilfst du mir?« frage ich.
» Weil es mir genauso gehen könnte«, antwortet sie.
Wir erarbeiten also meine Trauerliste, hier zweihundertfünfzig Mark, dort hundert … Was war letztes Jahr im Frühling? Februar nichts, März nichts, April nichts … Keine Einkünfte. » Nichts«, fasse ich zusammen. Sidonie blickt betroffen.
» Du schaust mich an, als hätte ich Lepra«, beschwere ich mich.
» Ich habe gerade meine eigene Zukunft gesehen.«
*
In Speyer gab es eine Buchhandlung mit einem wirklich guten Programm, geführt von drei feinen alten Damen. Die hatten sogar Lyrik im Sortiment, sogar welche von Henry Steiger. Nachdem ich mehrmals dort Bücher gekauft hatte, gab ich mich zu erkennen. Die drei alten Damen waren ungläubig.
» Heinrich Steiger? Was machen Sie denn in Speyer?«
» Ich lebe hier!«
Sie waren so überrascht, daß ich eigentlich sofort die Kurve hätte kratzen müssen. Speyer ist keine Stadt für Dichter. Ich blieb aber hängen, weil ich mutlos war und trank. Ich bin sicher, daß mich die alten Damen ein paarmal betrunken gesehen haben im Stadtzentrum zwischen Apotheke und Bahnhof, denn einmal sagte eine von ihnen in bezaubernd kultiviertem Ton zu mir: » Wir müssen einmal miteinander etwas trinken gehen!«
Das mußt du nicht wissen, Sidonie, du weißt schon genug. Dein süßes Staunen angesichts meiner Jahresbilanz. Ein Erlebnis: Wie du mit deinem grün-blau gestreiften Westkuli einen Kringel um die Summe zogst mit der zufriedenen Bemerkung: » Die können dir eigentlich nichts abschlagen!« Der coole Westtrost. Warum kam zwischen Februar und April nichts herein? Ich war in der Psychiatrie. Dank Kadletz’ Beziehungen sogar in der Privatstation einer ziemlich noblen Nervenklinik im Pfälzer Wald. Ich als Penner unter gemütskranken Beamten und Millionären. Etliche von denen wurden am Wochenende mit Mercedes- oder BMW -Limousinen abgeholt. Sie gingen unsicher, manchmal stützte man sie, aber sie trugen Kaschmirmäntel oder Nerz. Es gab keine geschlossene Abteilung. Die Mehrzahl der Kranken waren Frauen, verlassene reiche Ehefrauen, weniger verrückt als enttäuscht und verbittert, na ja, Medikamentenmißbrauch, Depression, Magersucht, Fettsucht. Aber es gab auch Männer. Ein Germanistikprofessor schlurfte mit vorgestrecktem Kopf in Pantoffeln vor meinem Fenster hin und her, kettenrauchend, mit nackten Fersen im Schnee. Eine bildschöne junge Französin stürzte sich vom Dach. Ein anderer Patient sprang aus dem oberen Stock an meinem Fenster vorbei in die Tiefe und landete auf einem Autodach. Das Autodach dellte sich ein, die Delle füllte sich mit Blut. Drei Wochen später kam mir der Mann im Korridor entgegen, mit ziemlich vielen Bandagen, aber lebendig. Ein Arzt, der manchmal im großen Speisesaal neben mir am Tisch saß, zwinkerte mir zu: » Der versammelte Irrsinn.« Mich hielt man dort für einen minder schweren Fall. Als ich dem Psychiater mein Leid klagte, antwortete er: » Kein Wunder; Sie stehen schließlich am Abgrund!«
*
Sidonie fragt: » Und was ist mit 1993? Hast du da keine Belege?«
O Gott. Mein erster und letzter Versuch, eine Steuererklärung auszufüllen. In einem Wutanfall schmiß ich alles ins Feuer. Ich habe nichts mehr, nichts! Ich raufe mir die Haare.
» Wir fragen deine Sparkasse in Speyer«, schlägt Sidonie vor. » Dort wissen sie sicher, was auf deinem Konto ein- und auslief.« Sie ruft augenblicklich an, um sich zu erkundigen, und erhält den Bescheid, ich müsse einen schriftlichen Antrag stellen. Ohne den gebe man Kontodaten nicht heraus.
Noch einen Antrag – das verkrafte ich nicht.
» Formlos«, beschwichtigt Sidonie. » Sie brauchen die Unterschrift.«
Wie
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