Dichterliebe: Roman (German Edition)
sind?«
» Dann sehen wir weiter«, sagt sie gleichgültig.
» Was ist mit dir?«
» Ich arbeite!«
» Was arbeitest du denn?«
» Was klingst du so überrascht?«
Die Macht der Frauen. Mit drei kühlen Repliken können sie einem den Himmel verdunkeln. Rätselhafterweise erhole ich mich rasch. Es gibt tausend Gründe zu verzweifeln, doch manchmal rettet dich ein einziger Traum. Fragt sich nur, wie lange. Bis wann werden sich meine Dämonen beeindrucken lassen von einem infantilen Gaul?
Kapitel VII von Karatschinzew bereitet Schwierigkeiten. Viel Gelaber, überlange Poeme haben zwangsläufig Durststrecken, schade, daß man Klassiker nicht kürzen darf. Ich mache stoisch weiter bis zum Vers An der Wurzel des Seins wartet die Trauer der Frauen / auf des Dichters traurigen Schritt – Hoppla, das geht nicht, Schritt wäre lexikalisch und rhythmisch korrekt, doch der Doppelsinn im Deutschen läßt es nicht zu, ich probiere ein paar Varianten und schreibe dann kurzerhand: Tritt. Auch ein Doppelsinn, aber nicht so auffällig. Spaß muß sein. Ich lese das verblasene Zeug noch mal durch – puh. Aber ich habe den Rhythmus, ich finde den Klang, ich dulde den Sinn. Die nächste Klippe ist eine zeitgeschichtliche: Geb ich dir zu treuer Hand darf ich gegenwärtig nicht schreiben, da denkt jeder sofort Treuhand. Ich knoble und lache vor mich hin. Die Kirchturmuhr schlägt acht. Wieder trete ich vor die Tür. Regen! Es regnet in seidigen Fäden. Ich laufe lachend ohne Jacke zum Haupthaus. Durchs Fenster sehe ich den Schimmer von Feuer.
*
Im Kaminzimmer ist niemand, aber das Feuer brennt. Kleiner Schreck – seit meiner Kindheit kenne ich diese leisen Schocks: Keiner da, was, wenn nie mehr einer käme, alle ausgelöscht, nur an mir ginge alles, sogar das Verderben, vorbei? Ich stehe im Zimmer, blicke auf die nicht mal mehr knisternden Flammen, drehe mich um die eigene Achse – was jetzt? Zurück an den Schreibtisch? Aber für wen arbeiten, wenn es keine Leser mehr gibt?
Dann beginnt die Zeit wieder zu rinnen, der Strom der Geräusche kehrt zurück, ich höre Stimmen von nebenan, reiße die Tür auf. In der Gemeinschaftsküche sitzen Irene, Sidonie, Robert und drei Bildende Künstler um den langen Tisch und essen Tomatensuppe. » Da bist du ja!« ruft Irene mir zu.
Jetzt fällt mir ein: Robert wollte heute im kleinen Kreis Gedichte vortragen. Darum hatte ihn die resolute Schirmmütze gebeten, die ihn aus irgendeinem Grund toll findet – vielleicht will sie ihn verführen? Das wäre, nebenbei, ganz in meinem Sinne, da wär er beschäftigt. Jetzt aber … Ich hatte es einfach vergessen. Hätten sie mich nicht rufen müssen? Andererseits: Hätt ich’s gewollt? Ich murmle also irgendwas von einer schwierigen Stelle, sie nicken, zeigen auf mein Gedeck, füllen meinen Teller und nehmen ihre Unterhaltung wieder auf.
Robert erklärt seinem Publikum die DDR . Alle unsere Bildenden Künstler sind Wessis: die Schirmmütze, der Videokünstler Bernd und der Performance-Artist Gideon. Video-Bernd hat überhaupt keine Haare im Gesicht, nicht mal Wimpern. Seine Videos sind ein Trommelfeuer aus hektischen Bildern, mir wurde dabei so schlecht, daß ich zu Boden ging. Wie hält Bernd das aus? » Übung!« sagte er stolz. » Beim Schneiden sieht man das ja tausendmal!« Ich nehme an, beim Schneiden sind ihm die Wimpern davongeflogen. Mit welchem Publikum rechnen die? Mit keinem, stellt sich heraus. Es gibt einen winzigen Videokunst-Markt, wo alle sich kennen und auf Festivals einander in schwarzen Kammern diese Streifen vorführen; es gibt die notorische Rivalität, es gibt sogar Video-Galeristen, um deren Protektion sie kämpfen, auch der freundliche Bernd besitzt, wie ich hörte, harte Bandagen, sonst wäre er schon raus. Der andere Künstler, Performancier Gideon, ist der typische überhebliche Wessi. Er hat mich mal ausgelacht, weil ich das Wort Performance deutsch aussprach, Performanze. Kürzlich zeigte er uns seine neue Installation, einen Kiosk, der mit fünfhundert Campari-Flaschen ausgekleidet war, von einer Neonlampe beleuchtet. » Kunst ist, was sich als Kunst verkaufen läßt!« erklärte er.
Und vor diesen Gauklern verrät jetzt Robert unsere ernsthafte, mit Pathos verteidigte Dichtung. Soll ich gehen? Nein, reiß dich zusammen, nicht labil sein jetzt. Das einzige, worauf man sich bei Henry verlassen kann, ist seine Labilität, pflegte mein Kollege Struck zu sagen. Als ich ihn darauf ansprach, wand er sich raus: Er habe
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