Dichterliebe: Roman (German Edition)
schreibt man einen formlosen Brief?
» Zwei Sätze!« sagt Sidonie, » Das kriegen wir hin!«
Ich zücke Block und Papier. Werte Genossen! kritzele ich.
» Bei uns heißt es: Sehr geehrte Damen und Herren!« bemerkt Sidonie sanft.
» Es ist doch sicher nur einer«, gebe ich zu bedenken, » und wahrscheinlich eine Frau!«
» Woher wissen wir das? Sehr geehrte Frau! beleidigt vielleicht den Lehrling?«
» Sehr geehrte Herren! beleidigt die Sekretärin.«
» Sehr geehrte Damen und Herren! schadet wirklich niemandem.«
» Hab’s geschrieben. Weiter?«
» Ich bitte Sie, mir …«
» Mit ich fängt man keinen Brief an. Nicht mal an einen Computer. Darf ich Sie bitten … ausnahmsweise … untertänigst …«
» Untertänigst?«
» Höflichst!«
» Das geht nicht«, sagt sie unerwartet fest. » Man kann nur entweder unhöflich oder höflich sein. Höflichst ist Heuchelei.« Offenbar will sie Sprachbewußtsein demonstrieren.
» Die ganze Anrede ist Heuchelei. Wir ehren die doch nicht, und schon gar nicht seh r !«
» Wir schreiben ja nur, daß sie allgemein geehrt sind, nicht von uns.«
» Und wofür?«
» Für ihre Stellung in der Gesellschaft. Festes Monatsgehalt …«
Wir seufzen.
» Na gut. Darf ich Sie ausnahmsweise bitten … Weiter?«
» … mir die Kontobewegungen auf meinem Konto …«
» Zweimal das Wort Konto im selben Satz, das kann ich stilistisch nicht verantworten.«
»… die Bewegungen meines Kontos…«
» Warum?«
» Weiß nicht. Ich bevorzuge den Genitiv.«
(zweifelnd) » … die Bewegungen meines Kontos… Das Konto selbst bewegt sich ja nicht, nur die Summen!«
» Welche Summen?«
» Die Bewegungen meines Kontos .. .«, wiederholt Sidonie prüfend.
» Klingt irgendwie unanständig.«
» Aber wenn wir schreiben: die Bewegungen auf meinem Konto, werden die sich fragen, was für Bewegungen?«
» Stimmt. Auf meinem Konto bewegt sich ja nichts.«
*
Sidonie hat einen Musicaltext geschrieben und mich gebeten, einen Blick darauf zu werfen. In meiner Lage kann ich’s kaum abschlagen. Erster Schreck: Das Ding ist durchrhythmisiert. Warum denn das? Ich dachte immer, in Musicals werden Dialoge normal gesprochen, und nur ab und zu wird geröhrt und gehopst. Hier aber … Die Handlung ist verwirrend. Viele Personen, unbedeutend, und nun sitzt Sidonie auf meinem Gartenstuhl und sieht mich an, sie hat sogar eine Flasche Wein mitgebracht, um mich für die Mühe zu entschädigen, was soll ich sagen? Übrigens fehlt noch der penetrante, untergründig panische Autorenausdruck, sie ist eben wirklich eine Anfängerin.
Ich sage, mir sei die Sache kühl vorgekommen, aber ich sei, hier muß ich etwas Luft holen, beeindruckt. Sie lächelt dankbar. Sie wolle nur meine Meinung über die gebundene Sprache wissen, es sei ja das erste Mal, daß sie lyrisch schreibe.
Lyrisch? Davon kann freilich keine Rede sein. Gebundene Sprache ist noch lange keine Lyrik. Ich suche nach Worten. Jetzt Sidonie nicht vergraulen.
» Du hast ja manchmal Blankvers verwendet«, sage ich zögernd. » Aber warum auch nicht …«
» Bedeutet das was?«
Ich suche einen Ausweg. » Ein Blankvers ist ein fünffüßiger Jambus.«
» Ja, und? Soll man das nicht machen?«
Ich zucke die Achseln: » Manche … Heiner Müller gebraucht ihn zum Beispiel. Aber man zählt das heute nicht mehr so durch … läßt gern mal zwei Hebungen weg …«
Sie strahlt mich unbekümmert an. Für sie ist heute bereits gestern. Weil sie die Tradition nicht kennt, darf sie auf Muster von vorvorgestern zurückgreifen und sich einbilden, sie erfinde alles neu. Hochmut der Unbildung – jetzt halte ich es nicht mehr aus.
» Rhythmisieren macht noch keine Verskunst. Es gilt mancherlei zu beachten. Zum Beispiel die Zeilenbrüche.« Ich schlage das Manuskript auf und lese vor:
» Und wenn der Priester dann mit seinem steifen,
golden bestickten Meßgewand – »
» Was ist damit?« fragt sie.
Ich lese die Stelle deutlicher: » WENN DER PRIESTER DANN MIT SEINEM STEIFEN «.
» Ja?«
» Dieser Zeilenbruch, Liebe, ist verheerend.«
Auf ihrem Gesicht malt sich Verwirrung; ich schaue zu. Es dauert ziemlich lang, bis der Groschen fällt. » Och!« protestiert sie heftig, » So hab ich das aber gar nicht gemeint!«
» Eben.«
Kaum zu glauben, sie wird sogar rot, eine Frau in den Dreißigern. Jetzt bin ich direkt ein bißchen verliebt.
TRÄUME
Unsere Gedichte sollen uns Wiesen zeigen unter den Brückenbögen der Gedanken.
Unsere Gedichte sollen die
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