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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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reiß es aus.
    » Er litt vielleicht an Depressionen?« bemerkt die herrliche Natascha, die Depressionen sicher nur aus der Zeitung kennt.
    » Wie soll er keine Depressionen kriegen?« frage ich heftig. » Dichter sitzen immer zwischen allen Stühlen!«
    Die neue Frau mit der Schirmmütze sagt: » Du neigst zu Selbstmitleid, wie?«
    Das fehlte noch, der Tadel einer Frau mit Schirmmütze. » Haben wir uns schon bekanntgemacht?« frage ich irritiert.
    Sie reicht mir die Hand. » Dora Linde. Bildhauerin. Und du?«
    » Henry Steiger, Dichter.«
    » Ja«, sagt sie, » das ahnte ich. Nichts für ungut, Henry, deine Kollegen sind tot. Aber du lebst und bist gesund, und ich weiß nicht, ob es dir da ansteht, soviel zu jammern.«
    » Woher weißt du, was mir ansteht?«
    » Ich vergleiche dich mit den Toten«, sagt sie und zieht ihre Schirmmütze ab. Die Frau ist fast kahl. Nur ein paar Flinzel kleben ihr am Kopf.
    Die silberne Krone der Weide leuchtet im Mondlicht wie eine Wolke.
    *
    Sidonie, immerhin, glaubt mir meine Verzweiflung. Sie würde gern helfen. Was am dringlichsten sei, fragt sie.
    Dringlich ist alles, doch das darf ich nicht sagen. Ich reiße mich zusammen und erkläre: der Scheidungsprozeß. Eine Katastrophe. Der Prozeß kostet nach Streitwert. Mein Anwalt meint, ich solle einen Prozeßkostenzuschuß beantragen, und hat sogar ein entsprechendes Formular geschickt, das ich ausfüllen soll. Aber wie schreibt man einen Antrag, wie füllt man ihn aus? Auch Sidonie muß ihn aufmerksam studieren, bevor sie feststellt: » Die wollen wissen, was du verdienst.«
    » Ich verdiene nichts!«
    » Wenn du das belegen kannst, übernehmen sie die Prozeßkosten.«
    » Und wie belege ich das?«
    » Na, du bittest zum Beispiel Gabriel, dir dein Stipendium zu bescheinigen. Dann hast du Honorare fürs Übersetzen bekommen, für Lesungen – da gibt’s doch sicher Unterlagen … Du zählst alles zusammen, und wenn zuwenig rauskommt, bist du zuschußberechtigt.«
    Ich stolpere über das Wort Übersetzungen . Ich mache keine Übersetzungen, sondern Nachdichtungen, doch welchen Sinn hat es, Sidonie den Unterschied zu erklären? Ich werde abgebaut. Was meinen Wert ausmacht, interessiert keinen, und die es interessieren könnte, begreifen es nicht.
    » Nachdichtungen«, höre ich mich scharf sagen.
    » Wie?«
    » Ist dir der Unterschied zwischen Übersetzungen und Nachdichtungen bekannt?«
    » Ach so, entschuldige, na klar: Übersetzungen geben bloß den Sinn wieder, und du machst Rhythmen und so?«
    Rhythmen und so? Bloß den Sinn? Soll ich sie rausschmeißen?
    Sie betrachtet mich fasziniert wie ein seltenes Tier. Einst bestach ich die Frauen durch Talent und Autorität, heute durch Verwirrung, nun, sei’s. » Du möchtest meine Unterlagen sehen«, sage ich zu Sidonie, ziehe meine Schreckenskiste aus dem Schrank und stelle sie ohne Kommentar auf den Tisch. Die Kiste quillt von Zetteln über, von denen allerdings die meisten Rechnungen sind, ich kriege Zustände, wenn ich sie sehe. Ich greife eine Quittung heraus: Lesung in der Buchhandlung » Traumtänzer«, 150 Mark. Was sind 150 Mark? Ich ringe nach Luft. Keuchend werfe ich den Zettel in die Kiste zurück.
    » Ein Vorschlag«, sagt Sidonie streng. » Ab sofort wird jeder Zettel, den du in die Hand nimmst, verwertet. Wir sammeln hier die Eingänge, dort die Ausgaben, dann ordnen wir beide Stapel chronologisch, numerieren sie, heften sie ab und machen eine Aufstellung, plus / minus.«
    Sie wird die Lust verlieren, und das zu Recht. » Du verlierst die Lust, ich sehe es schon«, sage ich niedergeschlagen.
    » Es ist nicht meine Traumarbeit. Ich tue es aus Sympathie. Aber mach bitte auch mit.«
    Als sie von Sympathie spricht, wird mir warm ums Herz und überall, und ich setze mich wieder. Wir sitzen jetzt nebeneinander an meinem Eßtisch und ordnen die Belege, jeder Zettel setzt eine Flut von Erinnerungen in Gang, so daß ich Sidonie die Regie überlasse und unwillkürlich ihr Erstaunen teile. » Hundertfünfzig Mark pro Lesung?« ruft sie. » Wir kriegen achthundert!«
    » Tja, Sidonie, das war DDR -Standardtarif. Von den hundertfünfzig Mark pro Lesung wurden gleich zwanzig Prozent Steuern abgezogen, den Rest nahm man mit, ganz ohne Bürokratie. Von vier Lesungen im Monat konnte man leben.«
    » Dort, aber nicht hier!«
    » Mir gibt keiner achthundert. Und ich bin froh um jede Mark, außerdem kann ich vielleicht ein paar Bücher verkaufen.«
    Auf einmal hält sie meine Kfz-Versicherung

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