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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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Malerhaus gehe? Ich will den Feldweg entlang, da sehe ich auf einer Bank Sidonie. Gut fünfzig Meter von mir, soll ich hin, oder wäre das dreist? Wenn sie mit mir hätte reden wollen, säße sie ja vor meinem Haus. Liest sie die Schneehänge im Erzgebirge ? Sitzt sie hier, weil es ihr nicht gefällt, oder weil es ihr gefällt?
    Um den Ballon hektische Rufe. Menschen klettern in den Korb. Der Brenner, der noch auf der Erde liegt, wird entzündet. Die Flamme ein zischender Schweif, in die Höhle des liegenden Balgs gerichtet. Der Balg regt sich, zuerst kaum merklich. Dann beginnt er träge zu wabern, bläht sich allmählich, richtet sich auf, ewig langsam, noch unförmig, und wird schließlich prall, ein riesiges, rotgraues Tier – erregend … Das Tier zerrt an den Seilen, der Korb ruckt und kippt, von den Insassen kleine Schreie des Schrecks oder Glücks. Der Korb löst sich vom Boden und schwingt unter den Ballon, der auf eine Baumgruppe zugetrieben wird. » Sprit!« brüllt jemand von unten. Ein brüllender Feuerstoß drückt das Tier in die Höhe, und es wandert mächtig wie ein Berg über die Wipfel davon. Der Rufer unten reibt sich Schweiß von der Stirn, sein Hemd ist naß, als wäre er in einen Teich gefallen.
    Erst jetzt merke ich, daß der Fuß schmerzt. Mit Krücke zurück. An meiner Tür klebt ein Zettel: Auf Wiedersehen, böser alter Meister! Ach, vergessen … Ich habe mich von Sayed nicht verabschiedet. Er hat uns heute verlassen.
    *
    Am Abend ist es soweit, daß ich die Einsamkeit nicht mehr ertrage. Ich höre die Stimmen der Kollegen aus größerer Ferne – weil’s kühl ist, haben sie sich auf Gabriels Eichenholzbank an der aufgeheizten Westwand des Haupthauses niedergelassen, trinken Rotwein und bestaunen die ersten Sterne. Soll ich mich dazugesellen? Ich schäme mich, weiß nicht wofür – vor denen? Trotzdem, wandere an ihnen vorbei, als müßte ich meinen Posteingang überprüfen. Robert macht Bemerkungen über Polarluft und darüber, daß die Sonne schon viel weiter unten sei, als es scheine, daß der orangenfarbene Leuchtsaum hinter den Bäumen durch die Krümmung der Atmosphäre hervorgerufen sei und so fort – wie ich diese Wissenschaftler mit ihrer Pseudoüberlegenheit hasse! Weil sie die Natur in Formeln packen können, fühlen sie sich der Welt gewachsen, dabei wissen sie nichts, nichts! Abstraktionen, Strichlisten, doch was das Leben soll, da ha’m se nüscht jekonnt, um es in Roberts Sprache zu sagen. Die können nicht mal anständig schreiben! Schnell weiter, sonst werde ich randalieren.
    Zum Postfach – nichts, zum Faxgerät – nichts, zurück, am Edeltisch vorbei. Jetzt sind sie zu fünft. Der Zahlenjongleur Robert. Irene, für die ich ein Dinosaurier der sentimentalen Dichtung bin. Sidonie, die zu meinem Buch freundliche Worte gesagt hat, aber ganz nichtssagende: Schön finde sie es, » intensiv«, aber diese » unausweichliche Melancholie«, die habe sie ratlos gemacht. » Trotzdem, anrührend!« Unverschämtheit. Die anderen beiden am Tisch sind vom Hof der Bildenden Künstler, selten genug, daß die sich zu uns verirren. Ich erkenne Natascha, die herrliche rothaarige Riesin, und eine Neue, die heute mehrmals eine klappernde Schubkarre am Schafstall vorbeigeschoben hat, eine magere Vierzigerin mit Schirmmütze – beinah hätte ich mich beschwert. Was habe ich mit denen zu schaffen? Doch als Gabriel aus dem Haus tritt und meinen Namen ruft, bin ich froh. Gabriel entkorkt zwei seiner guten Flaschen, und wir stoßen an.
    Unsere Westfrauen erzählen mit Lustgrusel von ihren ersten Ausritten in die Zone. Natascha fuhr kurz nach der Maueröffnung im Alfa Romeo ihres Vaters, einem ganz leisen Auto mit sechs Zylindern, in die ruinös heruntergekommene Stadt Leipzig – aus Neugier, wie sie sagt. Seltsam sei es gewesen, die aufgerissenen Straßen, die spärliche Beleuchtung, die kleinen, schlecht reflektierenden Schilder. Menschen seien als Silhouetten um Tonnen herumgestanden, aus denen Flammen züngelten wie in einem amerikanischen Ghettofilm. Und während Natascha im geräumigen, warmen, flüsterleisen Auto an dieser Szenerie vorüberglitt, hörte sie die Maurerische Trauermusik – ein Endzeitgefühl, sagt sie, ganz irreal.
    Mich schmerzt, was sie sagt. Schon spreche ich’s aus: » Das hat mir jetzt weh getan.« Alle schauen mich an. » Habe etwa ich das Land in den Ruin getrieben?« frage ich.
    Robert: » Als Kollektiv haben wir es ruiniert. Wir hatten keinen Mumm. Wir haben

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