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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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Feder. Er blieb unruhig noch in seiner Betäubung. Schließlich malte er einen Pfeil auf sich selbst und kritzelte: THEO . Dann lehnte er sich schwer atmend zurück.
    *
    Das letzte Mal traf ich Graziella im folgenden Sommer in Wien. Ich hatte eine Lesung, war gesammelt, machte Eindruck. Für den nächsten Tag lud mich Graziella zu sich nach Hause ein.
    Eine grauhaarige Haushälterin mit weißer Schürze empfing mich an der Tür. » Das ist die Maria«, sagte Graziella errötend. Sie führte mich durch einen langen Gang in einen Salon mit Biedermeiermöbeln und einem Kristallüster, der von einer meterhohen Stuckdecke hing. An den blaßgrünen Wänden hingen Kunstwerke. Graziella lauschte nach draußen. » Jetzt kommt die Mama«, sagte sie verkrampft und öffnete die Flügeltür. Die Haushälterin schob eine kleine, schwarzäugige Frau im Rollstuhl herein.
    Von dem Rollstuhl hatte Graziella erzählt, aber ich hatte nicht aufgepaßt. Unfall? Krankheit? Mordversuch? Die Frau war keine Siebzig, sie hatte schwarzgefärbte Haare und platzte vor Energie. » G’fallen Ihnen die Bilder?« fragte sie. » Alles Originale. A Kapitalanlage. Hat mir der Luxinger eing’redet. Na wer weiß, ob die nach der nächsten Konjunkturkrise noch taugen!«
    Wir setzten uns an den Tisch. Für vier Personen war gedeckt. » Der Herr Steiger hat gestern eine wunderbare Lesung im Kunstverein gehabt«, sagte Graziella, schwankend zwischen Schwermut und Stolz. » Er hat aus seinem Gedichtband Aufbegehr …«
    » Wir warten noch auf den Stefano«, unterbrach die Mutter. » Aber Moment mal, warum dieses Service? Hatten wir nicht für diese Gelegenheit andere Tassen? Gehn S’, Maria, bringen S’ uns die anderen Tassen.« Maria eilte hinaus. » Wofür zahl i mir schließlich a Haushälterin? Na, a Polin halt. Mein Haushalt geht no ganz am Boden daher.«
    Ich merkte, daß ich den Kopf schüttelte. Ich versuchte, ihn ruhig zu halten. Mein Hals zitterte. Der Boden tat sich auf. Marita hatte eine Versöhnung ausgeschlossen. Mein neuer Gedichtband würde nicht erscheinen, der Verlag fühlte sich an DDR -Verträge nicht gebunden. Ich hatte das übliche Drittel Vorschuß kassiert, natürlich in Ost-Mark. Ein Kollege hatte gewarnt, ich müßte ihn in D-Mark zurückzahlen. Absurd. Ich verdiente weniger als zuvor, und alles war viel teurer. Keine Ahnung, wie man im Kapitalismus zu Geld kam. Sozialhilfe wäre eine Schmach gewesen, was nun? – » Was nun?« hatte Marita gefragt. Samstag vor einer Woche war ihr Geburtstag gewesen, und meine traditionelle Pflicht war, die Obsttorte beizusteuern, das einzige Gebäck, das ich konnte. Im Konsum aber kostete ein Tortenboden auf einmal fünf DDR -Mark.
    Ich war in diesem Konsum gestanden wie vom Donner gerührt, warum nur, die fünf Mark hätte ich gehabt. Aber ich begriff, daß es hoffnungslos war, und stand damit nicht allein, alle regten sich auf und schimpften, ob sie dafür auf die Straße gegangen seien. Zufall, wiegelte die Kassiererin ab, Montag kriegen wir wieder unsere östlichen Tortenböden für vierzig Pfennige. Ich wußte, sie log. Sie wollte uns nur abwimmeln, Tortenböden für vierzig Pfennige würde es nie mehr geben. Ich geriet in Zorn, keine Geburtstagstorte für Marita, Marita enttäuscht, ich beleidigt, Marita, auf einmal ganz ruhig, sagte: » Na ja, kommt eigentlich nicht mehr drauf an, ich will die Scheidung.«
    Und jetzt saß ich in dieser Wiener Bürgerpracht zwischen hellgrünen Wänden, trauerte über DDR -Tortenböden und ärgerte mich über Marita, schizophren, ja, kein Wunder, daß ich weder mithalten noch mich verständlich machen konnte. Ich hob den Kopf und umklammerte mit den Händen die Lehne, um nicht vom Stuhl zu kippen. Mein Blick fand mit Mühe Graziella, die zur Tür sah.
    Stefano trat ein, ein bronzehäutiger Adonis mit schneeweißen Zähnen und schwarzen Locken. » Ja, der Herr Dichter … Graziella ist so stolz auf Sie!« Ich sah Graziella sich winden. Als Stefano Platz nahm, verzog er sein Gesicht. » Meine Pedale …«
    Graziella übersetzte: » Sein Fuß.«
    » I hab im Februar a Malheur g’habt«, verkündete Stefano. Er habe eine 500 000-Schilling-Limousine zu Schrott gefahren, Aquaplaning.
    » Aquaplaning heißt: bei Regen zu schnell gefahren« – Graziella, bedrückt.
    Er grinste. » Zum Glück war’s nur der Wagen vom Chef. I hab mi dafür acht Wochen im Krankenhaus ausruhn dürfn.«
    Maria brachte in Kristallschälchen orangefarbene feuchte Lappen herein.
    »

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