Dichterliebe: Roman (German Edition)
gesprochen.«
» Und du warfst dich in die Bresche.«
» Ich war auch betrunken. Aber betrunken war ich …«
» … ausnahmsweise …«, sie nickt.
» … weil du auf einmal nicht mehr geschrieben hast! Wie findest du das?«
» Übertrieben!« Ein frohes Lächeln huscht über ihr Gesicht, der eigenen Pointe hinterher.
*
Ein Fehlschlag. Sie liest draußen auf meiner Terrasse, ihr Buch und die Terrasse sind wichtiger als ich, der Gastgeber. Ich sitze drinnen am Laptop glühend, arbeitsunfähig, erschöpft nach der fast schlaflosen Nacht. Ich werde mich hinlegen und ausruhen. Ich lege mich hin und dämmere tatsächlich ein. Aber dann schießt mich ein Traum aus dem Schlaf, und ich erwache im lächerlichsten Vollglanz des Begehrens. Nein, nicht stärker begehrend als je, doch wie stark im Vergleich zu den Not- und Pflichtakten der letzten Jahre, die mir heute nur noch als Anstrengung erscheinen, nichts zu verlieren, nachdem offenbar nichts mehr zu gewinnen war. Natürlich auch nicht stärker als zu guten Zeiten, denn da hatte ich ja viel mehr Pulver. Aber eine Dringlichkeit und Verheißung wie früher, als ich plötzlich gegen jede Vernunft Familien gründete und Kinder in eine Welt warf, die einschließlich mir nicht für sie gemacht war. Dieser Überschwang erkennt keine Enttäuschung an, er besiegt den Tod, indem er für das Leben nach uns sorgt, und macht uns entbehrlich, während wir in Raserei das Leben selbst in Besitz zu nehmen meinen – im überschäumenden Triumph von Sekunden scheinbar entschädigt für die Zumutung lebenslanger Nichtigkeit, also betrogen, also lebenslang auf Betrug angewiesen, süchtig, verzweifelt süchtig, aach, ich halte für undenkbar, daß jemals jemand unter der Sonne einsamer war.
An diesem warmen Mittag im hellen Raum bin ich von einer so süßen Wehmut erfaßt, daß ich zu schweben meine. Ich träume, Sidonies Hand in meinem kurzen Haar. » Das darfst du mit einem alten Dichter nicht machen«, sage ich mit trockenem Mund. Mach weiter, denke ich. Wir werden zusammen dichten und ein Kind haben und ihm eine Welt schenken, die für es gemacht ist, denn wenn die Welt überhaupt irgend bewohnbar wird, dann durch Liebe. Wenn es irgendeinen Zauber gibt ohne Betrug, dann die Liebe. Sie an mir neben mir, der kühle weiche Leib in meinen Armen, die Lippen an meiner Schulter, innig entspannt wie ich, wenn sie einschläft, ist das wie ein Hauch, der über ihren Körper streicht – dann wird alles wie Gummi, es ist so hinreißend, daß ich mich von einer Mücke ins Bein stechen lasse, um nichts zu verpassen.
Aber es ist ja alles ganz hoffnungslos. Das wird nie geschehen! Herzklopfen bis in den Hals, Zunge geschwollen, Furcht in den Eingeweiden. Ich stürze zum Fenster. Sidonie sitzt da, als wäre sie nie weg gewesen. Wieviel Zeit ist vergangen? Sie sitzt über ihr Buch gebeugt, dann lehnt sie sich zurück und hebt den Blick zu meinem Fenster, woher weiß sie, daß ich im Schlafzimmer, weiß sie, wie es um mich steht, wartet sie?
*
» Wie geht es dir?«
Sie hinter mir. Ich fahre herum. Ich hatte mit dem Gesicht zum Haupthaus gearbeitet, um sie abzupassen, sie aber kam aus den Feldern, wo sie spazieren war, mit geröteten Wangen, vergnügt, sie sagt: » Es ist schön, wieder hier zu sein!« So viel Freude in ihren Zügen. Mein Atem setzt aus. Ich halte mir die Brust.
» Warum hast du mich nicht mitgenommen?«
» Ich sah dich arbeiten, da wollt ich nicht stören.«
» Du darfst mich immer stören, Sidonie. Keine Arbeit ist mir so wichtig wie du.«
Sie lacht, als hielte sie das für einen Scherz. » Erzähl von deiner Arbeit.«
» Na, das Übliche. Eine angeblich repräsentative Anthologie der deutschen Gegenwartslyrik hat ein Gedicht von mir aufgenommen. Das Belegexemplar war letzte Woche in der Post. Aber die Hälfte des Gedichts fehlt. Ich beschwerte mich beim Herausgeber, einem Germanisten von der Uni. Er antwortete in einem langen Entschuldigungsbrief, irgendwas mit Termindruck und Fahnen, und schickte als Trostpreis einen Stapel Sonderdrucke mit seinen wissenschaftlichen Aufsätzen. Was soll ich damit, bitte sehr?«
» Immerhin, ein Gedicht in so ner Anthologie …«
» Ein verstümmeltes Gedicht schadet mehr als ein fehlendes. Ich selbst habe über Kollegen den Stab gebrochen, wenn ich in ihren Gedichten eine einzige dumme Zeile fand.«
Sie blickt mich ehrfürchtig-mitleidig an, und das ist vollends unerträglich.
» Schwamm drüber. Der Rundfunk hat ein paar Feuilletons
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