Dicke Hose (German Edition)
dringend in der Mittagspause noch mal auffrischen muss. Am besten bei YouTube, da findet man ja heutzutage alles.
Beunruhigender finde ich meine Rückverwandlung von Alex zu Alexander. Das ist wohl die Strafe für den missratenen Kuss. Bedeutet das, Victoria wäre gern von mir geküsst worden, und nun ist sie sauer, weil es nicht geklappt hat?
«Du musst dich noch umziehen», platzt die Betonfrisur in meine Gedanken. Vollkommen vertieft habe ich gar nicht bemerkt, dass Victoria bereits mit einer Kundin durch die hinteren Verkaufsräume schlendert. «Den Anzug des Tages hat Vic unten im Büro bereitgehängt. Auf der Kleiderstange. Ganz links.»
«Links», wiederhole ich, um sicherzugehen, dass ich mich nicht wieder ohne zwingenden Grund in einen Idioten verwandele.
«Ganz genau.» Kai verkneift sich ein Grinsen. Er trägt heute einen lachsfarbenen Anzug mit weißem Revers und erinnert stark an ein plattgetretenes Nigiri-Sushi. «Am frühen Nachmittag müsste dann einer von uns einer Stammkundin Kleider nach Hause liefern. Zur Anprobe. Es ist für ein Event am Abend. Möchtest du das übernehmen? Du kannst aber auch hier im Foyer die Stellung halten. Was ist dir lieber?»
Macht der Witze? «Die Anprobe!», sage ich wie aus der Pistole geschossen. Alles ist besser, als hier auf dem Präsentierteller zu stehen und Taschen zu schwenken. Nicht dass Friedrich von Klatt noch mal auf einen Spontanbesuch hereinschneit!
«Okay. Dann hör mir jetzt genau zu.» Kais Tonfall zwingt mich, genau das nicht zu tun. Was soll schon so schwer daran sein, einer überkandidelten Trulla ein Kleid durch den Türspalt zu schieben? Langsam habe ich es wirklich satt, mir ständig sagen zu lassen, was ich tun soll.
«… schon alles bereitgehängt. Hinten im Keller, ganz rechts. Da hängen zwei Cavalli-Kleider in so einem durchsichtigen Kleidersack.»
Kavalierkleider?
«Eines ist Amber-Litschi, das andere Desert Rose …»
Hat er Litschi gesagt? Klingt lecker.
«Der andere Kleidersack mit dem Missoni-Ensemble muss mit dem Kurier zurück nach Italien …»
Ach, in Italien, da wäre ich jetzt auch gerne.
«Die Kundin wird nachher eines der Kleider auswählen und es am Abend auf einer Gala tragen. Morgen bringt sie uns beide Teile wieder zurück.»
Es entsteht eine kurze Pause, in der Kai vermutlich überlegt, ob er mir noch mehr Informationen zumuten kann.
«Die Kleider wurden von der Kundin bislang nicht anprobiert. Deshalb müssen sie vermutlich etwas auf Figur genäht werden. Vergiss also das Notfallset nicht, es liegt unten …»
Meine Güte, ich bin doch keine Strickliesel. Ich bin von Prada!
Ich meine, hat der Kerl keine größeren Probleme, als diesen Liefertermin? Ein Loft-Defizit beispielsweise.
Aber anstatt mit dem Schwulen zu diskutieren, trolle ich mich in den Keller, um mein Outfit zu wechseln. Die Scheußlichkeit des Tages ist grün. So ein grüner Farbton wird in diesen Hallen vermutlich «Kiwi» genannt. Kein Grund für ein Freudenfest, aber auf jeden Fall besser als das pinkfarbene Zebrateil. In Kombination mit der Hose, die einen sandigen Beigeton hat, sehe ich Minuten später allerdings aus wie Lawrence von Arabien auf Sumatra. Jetzt bin ich mir ganz sicher: Victoria will Rache für den missglückten Kuss. Aber Bestrafung durch Klamotten zieht bei mir seit der Konfirmation meiner Cousine nicht mehr. Ich habe nämlich beschlossen, mich über derartige Albernheiten nicht mehr aufzuregen. Geht alles aufs Herz. Sieht man ja bei Florian. Und am Ende der zehn Tage muss ich dann ins Sanatorium.
Während ich vorsichtshalber auf der Kleiderstange gründlich nachschaue, ob nicht doch noch irgendwo ein schlichter dunkelblauer Anzug hängt, entdecke ich das Kleider-Duo für die Kundin heute Nachmittag. Zur Sicherheit werfe ich einen Blick in den Kleidersack. Ja, es ist die Auswahl, von der Kai erzählt hat: zwei gehäkelte Scheußlichkeiten. Ob die Farbe nun Amber-was-auch-immer oder Desert Storm ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber es klebt ein Zettel daran: Difettoso . Vermutlich der Name des italienischen Herstellers. Jetzt fehlt nur noch das Notfallpäckchen. Wo sollte das bloß noch mal zu finden sein?
«Alexander?» Die Schneekönigin meldet sich von oben.
«Ja?»
«Der Kurier ist schon da! Er steht unten vor der Tür zum Treppenhaus und will die reklamierten Taschen abholen. Es sind zwei Kartons, sie stehen direkt vor der Tür.»
An der besagten Tür sehe ich die Ware und brülle nach oben: «Alles
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