Dicke Hose (German Edition)
sind Sie heute Abend hier? Wer ist Ihr Begleiter?», will ein bärtiger Mann mit einem Puschelmikrophon, das an einen ausgefransten Wischmopp erinnert, wissen.
«Einen Namen, wir brauchen einen Namen!», brüllt jetzt auch ein Fotograf.
Zwei Reporter zücken gleichzeitig ihr Notizheft. «Wie heißen Sie?», werde ich gleich darauf direkt gefragt.
In Deutschland hat man das Recht, die Aussage zu verweigern. Ich werde also schön weiter schweigen und –
«Dies ist der Sohn von Ernesto Micolucci», höre ich meine Begleiterin sagen. Dabei klingt sie so stolz, als sei ich der dritte, aus einer Liaison mit Lady Gaga stammende, Sohn von Prinz Charles. «Alexander Micolucci. Ein Name, den Sie eigentlich kennen sollten!»
Als die Kameras erneut aufblitzen, wird mir nach und nach die volle Tragweite meiner Situation bewusst:
Ich bin nicht der Sohn des schwerreichen und offenbar durchaus bekannten Ernesto Micolucci. Ich weiß das, und er weiß das erst recht. Und sofern dieser Modemagnat sich nicht in seiner Jugend wie Casanova durch die Gegend gevögelt und bei der so entstandenen Kinderschar den Überblick verloren hat, wird er morgen – spätestens aber übermorgen – extrem sauer sein. Er wird seinen Anwalt anrufen, mich und die Presse verklagen und danach seinem Herzleiden erliegen.
Mit Florian verhält es sich ähnlich. Auch er wird vor Schreck und aus Sorge um seinen Daddy das Zeitliche segnen. Nicht nur wäre dann alles, was ich jetzt schon seinetwegen durchgemacht habe, umsonst gewesen, nein, ich ginge auch noch komplett leer aus. Nicht mal das Loft, geschweige denn den Hamster würde ich erben.
Ich trage ein Outfit des Schreckens. Was, wenn einer meiner Kollegen mich in der Zeitung entdeckt?
«Wie kommt es, dass wir Sie noch nie in Deutschland zu sehen bekommen haben, Herr Micolucci?» Wieder der Bärtige.
«Auch auf internationalem Parkett scheinen Sie sich rar zu machen.» Ein weiterer besonders hartnäckiger Pressefuzzi bohrt sich samt Notizheft in mein vermeintliches Promi-Privatleben.
Die Grünewald genießt den Rummel sichtlich. Mit breitem Kristallköniginnenlächeln schiebt sie sich ins Bild. «Es gibt nun mal noch Menschen, denen der Rummel um ihre Person unangenehm ist», sagt sie statt meiner und greift überflüssigerweise nach meiner Hand. Die Vertraulichkeit dieser Geste lässt mich wütend und die Presse neugierig werden.
«Seit wann sind Sie ein Paar?», will der Mann am Wischmopp-Mikro jetzt wissen. «Wo haben Sie sich kennengelernt?»
Wie bitte? Spinnen die jetzt total? Ich und die Grünewald – ein Paar? Schlimmer kann es ja wohl kaum noch kommen. Ich will sofort meinen Kardiologen sprechen!
Zu meiner Beruhigung scheint die Grünewald diese Idee ähnlich absurd zu finden. «Ich bitte Sie!», entrüstet sie sich. Doch anstatt nun klarzustellen, dass ich in diesem Szenario nur der Platzhalter für einen ihrer Lover bin, fügt sie hinzu: «Herr Micolucci ist für die Damenwelt leider nur platonisch zu haben. Er ist ein bisschen … verzaubert. Sie verstehen sicher, was ich damit sagen will.»
Mit einem mädchenhaften Kichern katapultiert sie sich auf meiner Liste verhasster Mitmenschen ganz weit nach oben.
Aber wie lautet Kais Prinzip? Selbstmitleid ist etwas für Heteros.
Außerdem muss Flo seiner Familie so nicht mehr selbst erklären, dass er schwul ist. Nur noch, warum sein Name falsch zitiert wurde.
«Oh», grinst der Wischmopp anzüglich. «Was für ein Glück für uns Männer!»
Augenblicklich gefrieren mir die Gesichtszüge. Ist das zu fassen? Der macht mich an! Vor laufender Kamera! Werden somit morgen Florian, Victoria und der Rest der Welt über mein Coming-out informiert?
«Wir müssen jetzt hineingehen.» Es ist der erste vernünftige Satz des Tages von Carmen Grünewald. «War nett, mit Ihnen zu plaudern.»
Total. Noch netter wäre es nur, dem Typen den Mopp in den Hintern zu schieben.
«Eine Frage noch, Frau Grünewald. Was tragen Sie heute?»
Ja, was wohl, ein Kleid!
Die Grünewald streift sich mit den Händen das Häkelmonster glatt. «Miucci», sagt sie laut und deutlich. «Es ist aus der brandneuen Kollektion des Modehauses, die in Kooperation mit Missoni entstanden ist. Ab Januar europaweit in allen Filialen erhältlich.»
Ooookay. Jetzt ist mir die Enthauptung durch Victorias pinken Säbel sicher.
Vielleicht sollte ich mich doch langsam mal mit dem Gedanken an Flucht anfreunden. Mein neues Leben XXS – nicht unter Schwulen im gediegenen Key West,
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