Dicke Hose (German Edition)
dachte, sie wollte Cavalli tragen.»
Von bösen Vorahnungen getrieben, schlüpfe ich nun ebenfalls hinter den Tresen und falle dabei fast über einen Stapel unausgepackter Kartons, in denen vermutlich mal wieder neue Taschen angekommen sind. Dann blicke ich Kai über die Schulter – und tatsächlich: Ich bin im Internet! Und zwar nicht nur einmal, sondern auf gefühlten tausend Fotos. Mal mit der Grünewald, mal ohne. Auf manchen ist auch nur sie in ihrem Häkellappen zu sehen. Eines der Bilder zeigt sogar, wie sie ihren Kopf auf meine Schulter legt.
Verunsichert linse ich zu Victoria. Doch die amüsiert sich nur.
«Na, ihr seht ja süß aus», kichert sie und liefert Kai anschließend eine Erklärung: «Alex hatte die Kleidersäcke verwechselt. Die Grünewald trägt nun Missoni.» Sie kneift die Augen zusammen und schaut noch einmal genau hin. «Allerdings frage ich mich inzwischen wirklich, was sie da anhat. Zu blöd, dass die Bilder im Netz immer so eine niedrige Auflösung haben. Und wenn man sie vergrößert, wirkt das Kleid so pixelig. Fast wie zerstückelt. Ich kann mich auch gar nicht erinnern, so ein Teil hier im Laden schon mal gesehen zu haben.» Sie wirft mir einen irritierten Blick zu. «Und du sagst, du hast es nur ein wenig enger schnüren müssen?»
Ehe ich antworten kann, mischt sich der Schwule wieder ein: «Schau mal hier, Vic.» Er presst seinen dürren Spinnenfinger auf den Monitor. «Hier sieht es so aus, als sei der Rocksaum irgendwie … ausgefranst. Fast wie bei Chanel. So etwas macht Missoni doch gar nicht.»
Am liebsten würde ich ihm jetzt offenbaren, dass dieser Look allein einer ganzen Flasche seines Klebesprays zu verdanken ist. Aber irgendwie mag ich immer noch nicht zugeben, dass ich mit der Schere am Werk war. Bei Victorias Liebe zur Mode macht mich das Verstümmeln der Klamotten vermutlich zum Leichenfledderer. Also sage ich: «72 dpi – bei der Auflösung kann man einen Hund nicht von ’nem Huhn unterscheiden.»
«Na, in ein paar Minuten wissen wir mehr. Ich habe Carmen Grünewald bereits einen Kurier geschickt, um das Kleid abzuholen. Schließlich war es nur eine Leihgabe für den Abend.»
Bitte, bitte lass die Trulla vom Taxi überfahren worden sein!
Victoria sieht auf ihre Uhr. «Der Kurier müsste jeden Moment hier eintreffen, hängst du das Kleid dann bitte zurück auf die Stange im Keller, Alex? Ich schaue es mir später an.»
Ich nicke mechanisch. Noch gebe ich die Hoffnung auf ein Wunder nicht auf. Auf keinen Fall möchte ich, dass dieses blöde Häkelmonster den Zauber zwischen Victoria und mir zerstört.
«Hört euch das mal an», meldet sich nun wieder Kai zu Wort. Ohne Rücksicht auf die Kundschaft im Laden zitiert er, frei von jeglichem Schamgefühl, eine Bildunterschrift: «Carmen Grünewald am Arm ihres schwulen Freundes Alexander Micolucci, Sohn des Modepapstes Ernesto Micolucci …»
Verschissenes Reporterpack! Nicht auszudenken, wenn diese Gala bereits vorgestern über die Bühne gegangen wäre. Dann hätte Victoria den Artikel gelesen, und der Gedanke an Sex mit mir wäre ihr so abwegig vorgekommen, wie ein Kleid mit Schere und Kleber zu bearbeiten.
«Also, ich … bin nicht schwul! Ehrlich!» Jetzt bin ich es, der keine Rücksicht auf die Kundschaft nimmt.
Victoria grinst. Kai hingegen sieht aus, als wolle er mir gleich mal testweise in den Schritt greifen. Misstrauisch wie immer. Und während er anschließend wieder gebannt auf den Monitor schaut, immer auf der Jagd nach neuen Sensationen, beginnt Victoria hinter uns die leeren Kartonverpackungen zusammenzupacken.
Das Telefon klingelt. Keiner meiner Kollegen macht Anstalten, den Anruf entgegenzunehmen. Also greife ich seufzend nach dem Hörer. «Miucci am Neuen Wall, Sie sprechen mit Alexander Held. Was kann ich für Sie tun?»
Den Spruch habe ich gestern bei Kai aufgeschnappt.
In der Leitung knistert es. «Hallo?» Gerade, als ich entscheide, wieder aufzulegen, meldet sich eine Frauenstimme.
«Buongiorno, Esmeralda Carmalotti … che una cosa selvaggia! … risolvere un problema … cosa nostra … tutti collectione … ieri sera … Pronto!»
Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen, aber irgendwie kommt mir das ein wenig spanisch vor. Oder italienisch? Dummerweise habe ich kein Wort verstanden. Warum sprechen die auch immer so schnell?
«Scusi? lssremirante … di alere lacuccenro?»
Ja, ja. Ist ja schon gut. Die soll sich bloß keinen Knoten in die Zunge machen.
Aus dem
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