Dicke Hose (German Edition)
Leuten kann man doch nicht unter einem Dach leben!»
Kraftlos lasse ich mich auf einen der antiken Stühle plumpsen und schäle mich mit schweißnassen Händen aus dem Mantel. Mit brüchiger Stimme erkläre ich: «Es ist aber nun mal so … dass eine Million Euro kein Pappenstiel ist. Eine solche Summe kann sich nur ein Bruchteil der Bevölkerung leisten.»
«Schon klar», knurrt die Möhre und knallt den Siebträger mit dem gebrauchten Kaffeesatz wie in einem Café auf eine Schublade. «Aber warum sind die Millionäre alle so unsympathisch?»
Es entsteht eine Pause, während deren sie sich wieder an der Maschine zu schaffen macht. Als der Kaffee endlich durchläuft, dreht sie sich zu mir um. «Wissen Sie, Herr –»
Beim Anblick meines Anzugs gerät sie ins Stocken. Wenn sie mich bisher hierhin ganz sympathisch fand, zweifelt sie spätestens jetzt an ihrer Urteilskraft. Ungläubig starrt sie mich mit weit aufgerissenen Augen an.
«Tja, ich … äh … weiß ehrlich gesagt auch nicht, warum Sie bislang solches Pech hatten», gebe ich zu und wünschte, ich hätte den Mantel nicht ausgezogen.
Einem Mann in diesem Aufzug traut die Möhre verständlicherweise niemals zu, einen sympathischen Käufer für ihr Schlösschen zu finden. Alte Leute sind ja bekannt für ihre Vorurteile.
Besser, ich rücke meine Fähigkeiten noch mal ins rechte Licht. «Da ich ja nun weiß, wonach Sie genau suchen, werde ich die nächsten Interessenten auf Herz und Nieren prüfen, ehe ich Sie mit einer weiteren Besichtigung belästige», sage ich und verdecke mit dem Mantel unauffällig eine Paillettenblume auf meiner Schulter.
Doch der Frau entgeht nichts.
«War sicher nicht billig, der Anzug», sagt sie und kneift die Augen zusammen. «Sieht nach Handarbeit aus.»
«Äh …» Was kommt denn jetzt? Ein Vortrag über Kinderarbeit?
«Wissen Sie, meine Frau war früher Schneiderin», mischt Bruno sich jetzt ein. «Sie kann einfach nicht aus ihrer Haut.»
«Verstehe.»
«Und was den Verkauf angeht: Uns macht es nichts aus, wenn es etwas länger dauert. Wir haben Zeit. Wichtig ist, dass wir einen netten Käufer finden. Geld spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle.»
«Aha?»
«Na ja, im Alter hat man keine großen Ansprüche mehr. Das Haus ist abbezahlt, und unsere Rente reicht zum Leben. Was will man mehr?» Er nimmt den Kaffee von seiner Frau entgegen und stellt ihn vor mir auf den Tisch.
Ich bin verwirrt. «Aber dann verstehe ich ehrlich gesagt gar nicht, warum Sie überhaupt verkaufen wollen. In der heutigen Zeit gibt es doch kaum etwas Beständigeres als eine Immobilie.» Ich versuche zu ignorieren, dass die Möhre um mich herumschleicht, als sei ich ein Kunstobjekt. «Warum lassen Sie also nicht alles, wie es ist?»
«Gute Frage!» Bruno lacht. «Wir haben keine Kinder und möchten unser Heim in guten Händen wissen. Außerdem», er macht eine Pause und beobachtet amüsiert, wie seine Frau mit der Hand über eine Stickerei auf meinem Ärmel fährt, «wünschen wir uns ein bisschen mehr Leben im Haus.»
«Aha. Und vermieten kommt für Sie nicht in Frage?» Ich weiß nicht, warum ich das frage. Vermieten bringt mir schließlich keine Verkaufsprovision.
Bruno Lembke schüttelt den Kopf. «Nein, wir wollen unserem Schlösschen eine Zukunftsperspektive bieten.»
Ich kann mir nicht helfen, aber so skurril die beiden Alten auch wirken, irgendwie sind sie mir sympathisch. Jedenfalls er. Die Möhre macht mir zunehmend Angst. Deshalb trinke ich schnell meinen Kaffee aus und will mich rasch verabschieden.
Als ich schon in der Haustür stehe, nimmt mich die Hausherrin noch einmal zur Seite und pikst mir gegen den paillettenbestickten Hosenbund. «Versace, nicht wahr?»
«Äh … ja.»
Mit einem Gesichtsausdruck tiefer Zufriedenheit nickt die Möhre und öffnet mir die Tür. «Sie sind ein mutiger Mann. Sie schaffen das.»
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19. Kapitel
Während ich zurück zu Miucci fahre, überlege ich, wie schön es sein muss, mit jemandem gemeinsam alt zu werden, der die eigene Schrulligkeit verzeiht.
Unwillkürlich muss ich an Victoria denken und daran, dass sie vermutlich immer noch sauer auf mich ist. Kein schöner Gedanke. Nach dem, was gestern Abend zwischen uns gewesen ist, kann es doch nicht jetzt schon zu Ende gehen. Es hatte noch nicht einmal richtig angefangen, oder? Ich meine, den ganzen Zirkus veranstalte ich doch auch ihretwegen!
Einer spontanen Eingebung folgend, krame ich in der Manteltasche nach
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