Dicke Moepse
Irgendwann werde ich aber doch noch mein Examen machen und eine eigene Praxis eröffnen«, erzähle ich munter und verschweige, dass mir momentan eher danach ist, den ganzen Kram sausen zu lassen und mich Hals über Kopf in eine Ehe zu stürzen. Mit ihm. Zum Glück bin ich doch noch halbwegs bei Verstand, denn die komplette Wahrheit würde selbst einen perfekten Gentleman wie René Weiner in die Flucht schlagen.
»Das Dessert ist einfach sensationell!«, lobe ich und bemerke, dass ich an diesem Abend schon mindestens zehn Mal das Wort sensationell verwendet habe. Ich sollte an meinem Wortschatz arbeiten, sonst denkt er noch, ich sei eine einfältige Kuh.
Wir teilen uns einen großen Teller Mousse au Chocolat zum Nachtisch, wobei gesagt werden sollte, dass René darauf besteht, den Hauptanteil mir zu überlassen, indem er mir den immer wieder frisch gefüllten Löffel hinhält, um mich liebevoll damit zu füttern. Sein Anteil am Dessert besteht darin, mir das Danebengegangene einfach wegzuküssen. Besser kann der Abschluss eines tollen Essens gar nicht schmecken. Ich bin jedoch etwas nervös, wenn ich an das Ende dieses Abends denke. Vielleicht will René diesmal doch mehr als nur küssen? Vielleicht sollte ich ihn noch einen Abend zappeln lassen?
Von der Bar erklingt lautes Lachen. Ein Lachen, das sich irgendwie vertraut anhört. Ich spähe in die Richtung, aus der der Lärm kommt, und entdecke Mel im kleinen Schwarzen. Um genau zu sein, ist es ein winziges Schwarzes, das ihre Vorzüge nicht nur betont, sondern sie auch alle herzeigt. Ihren Begleiter scheint es nicht zu stören, dass die gesamte Gesellschaft in der Bar auch dorthin starrt. Ich sehe ihn nur kurz von hinten, wie er beflissen mit Mels Mantel über dem Arm davontrabt. Ich winke kurz in ihre Richtung, aber sie bemerkt mich nicht.
»Was ist?«, fragt René, dem nicht entgangen ist, dass meine Aufmerksamkeit nicht mehr nur ihm gilt.
»Ach, da drüben sitzt meine Mitbewohnerin. Mel heißt sie, du hast sie, glaub ich, kurz mal im Zoo gesehen«, murmele ich.
»Echt? Die zeigefreudige Blonde wohnt mit dir zusammen?« René schüttelt entsetzt den Kopf.
»Die hast du sicher aus Mitleid bei dir aufgenommen. Sie hat doch nicht einmal ein Zehntel deiner Klasse.« Renés Worte gehen mir hinunter wie Öl. Ich schaue nochmal zu der »zeigefreudigen Blonden« hin – und erstarre. Es ist Andreas, mit dem meine Mitbewohnerin ihr Date absolviert, und ich sehe, wie er ihr vertraut den Arm auf die Schulter legt. Auch er scheint uns nicht zu bemerken.
»Ach, sieh mal einer an. Der Herr Zoodirektor hat sich ja heute ein ganz besonderes Exemplar eingefangen …«, bemerkt René säuerlich. Ihm ist nicht entgangen, dass mir meine Gesichtszüge entglitten sind. Ich bin wirklich stinksauer.
Es mag unter Männern gang und gäbe sein, dass man sich die ein oder andere Liebschaft zuschustert. Lochschwager nennen das die Kerle und können darüber lachen. Allein der Ausdruck ist beschämend und respektlos gegenüber uns Frauen. Unter Freundinnen ist der Austausch von Liebhabern absolut tabu. Wo kämen wir denn da hin? Und Mel habe ich noch ausdrücklich gesagt, dass sie die Finger von Andreas lassen soll! Nicht, dass ich ihn zurückhaben möchte, aber unsere Geschichte ist einfach noch zu frisch, um ihn so dicht an mich heranzulassen. Mel kann sich jetzt aber auf etwas gefasst machen! Ich werde sie zur Rede stellen. Und zwar am besten sofort. Sobald Andreas zur Toilette geht, werde ich mich bei René kurz entschuldigen. Vielleicht hat Blondie den Ernst der Lage einfach noch nicht begriffen, weil es bei ihr in der Fluggesellschaft zugeht wie bei Rolf Eden in der Haus-Sauna. Oder sie möchte mit mir darüber diskutieren, welche Stellung mir beim Sex mit Andreas wohl am besten gefallen hat.
Carla und ich sind vielleicht etwas altmodisch, aber vielleicht ist das auch der Grund, warum wir einander bedingungslos vertrauen können.
Ohne dass ich es bemerkt habe, hat René bereits die Rechnung bestellt und legt ein paar Scheine zwischen das schwarze Etui auf dem Tisch.
»Lass uns gehen, mein Schatz. Nicht, dass du noch Ärger bekommst, weil du außerhalb der Geschäftszeiten mit Mitarbeitern unterwegs bist«, sagt er und bugsiert mich hastig nach draußen. Dankbar lächele ich ihn an. Wahrscheinlich hat er recht. Reden bringt in so einer Situation sowieso nicht viel.
»Vielen Dank für den schönen Abend«, seufze ich. Wahrscheinlich wird mich mein Verehrer, galant wie er ist,
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