Die 10. Symphonie
Gläubiger bezahlen zu können. Nun vereinbarte der Musiker mit Beatriz - und mit vollem Einverständnis ihres Vaters, der seine Arbeit bewunderte -, dass sie dreimal in der Woche in seine Wohnung in der Schwarzspanierstraße kom men und als Kopistin f ür ihn arbeiten sollte. Die Straße hieß so, weil die spanischen Benediktinermönche von Montserrat, die wegen ihrer schwarzen Kutten Schwarzspanier genannt wurden, dort einmal ansässig gewesen waren.
Nach so vielen Jahren ohne jegliche Liebesbeziehung bl ühte der alte Beethoven nun wieder auf, unwiderstehlich angezogen von Beatriz' Sensibilität und ihrem Mut. Häufig musste er über ihre Bemerkungen zu den verschiedensten Themen lächeln, und sie wogen ihr etwas mageres Äußeres auf, das sie in den Augen manch anderer Männer nahezu unsichtbar machte.
Doch Beethoven war wieder einmal verliebt. H ätte ihn einer der wenigen Freunde aus seinem engsten Vertrautenkreis gefragt, mit wie vielen Frauen er seit seiner triumphalen Ankunft in Wien im November 1792 eine Affäre gehabt hatte - er hätte es selbst nicht zu sagen vermocht. Die Frauen interessierten sich beinahe ausschließlich wegen seines außergewöhnlichen musikalischen Talents für ihn. Seine Spezialität waren ohne Zweifel die Klavierschülerinnen. Unter ihnen stach die sehr junge italienische Gräfin Giulietta Guicciardi besonders hervor. Als sie sich in Beethoven verliebte, war sie gerade einmal sechzehn Jahre, und er doppelt so alt. Dem Musiker bedeutete diese Beziehung so viel, dass er seiner Geliebten die wohl bekannteste seiner Sonaten, die Mondscheinsonate, widmete. Seinem Freund Doktor Wegeier berichtete Beethoven einmal brieflich:
...du kannst es kaum glauben, wie öde, wie traurig ich mein Leben seit 2 Jahren zugebracht, wie ein Ge spenst ist mir mein schwaches Geh ör überall erschienen, und ich flohe - die Menschen, mußte Misantrop scheinen, und bins doch so wenig, diese Veränderung hat ein liebes zauberisches Mädchen hervorgebracht, die mich liebt, und die ich liebe, es sind seit 2 Jahren wieder einige seelige Augenblicke, und es ist das erstemal, daß ich fühle, daß - heirathen glücklich machen könnte...
Beethoven sp ürte, dass nun Beatriz de Casas die Erlöserrolle übernehmen könnte, die einmal Giulietta Guicciardi für ihn gespielt hatte.
»Wieso hast du nie eine der Frauen geheiratet, mit denen du ein Verhältnis hattest?«, fragte Beatriz eines Nachmittags unvermittelt, während sie dem Maestro dabei half, den letzten der ungewöhnlicherweise sieben Sätze seiner großartigen zehnten Symphonie ins Reine zu schreiben. Beinahe den ganzen Nachmittag lang hatte Beethoven nichts gesagt und über den winzigsten Details der Instrumentierung seines Werks gebrütet. Die schriftlich gestellte Frage seiner Geliebten riss ihn aus seiner Selbstvergessenheit.
»Du sollst nicht reden, während du die Abschriften anfertigst«, wies sie der Maestro zurecht und versuchte das private Konversationsheft zu schließen, über das sie zu Hause miteinander kommunizierten. »Am Ende machst du einen Fehler und musst eine ganze Seite neu schreiben.« »Wenn ich schon seit einer Woche unbezahlt als Kopistin für dich arbeite«, gab sie zurück und hielt das Heft offen, so gut sie konnte, »könntest du wenigstens ein bisschen mitteilsamer sein.« Beethoven fuhr sich durch seine imposante Haarpracht, die er nun jedoch sauberer und ordentlicher trug, um Beatriz zu gefallen. »Ich bezahle dir die Rückstände, sobald ich mit meinem Herausgeber wegen der nächsten Quartette übereingekommen bin.«
Beatriz schrieb noch einmal: »Wieso hast du nicht geheiratet?«
»Wieso ich nicht geheiratet habe? Vielleicht, weil ich nie die Frau gefunden habe, die mir das geben konnte, was du mir gibst. Das muss dein Zigeunerblut sein.« »Ich bin keine Zigeunerin«, stellte sie klar. »Mein Vater ist aus Nordspanien, aus einer Stadt namens Bilbao. Wir nennen sie El Botxo, das bedeutet das Loch .« »Weil es eine unterirdische Stadt ist?« »Nein, weil sie von Bergen umgeben ist.« »Botxo, Bonn, unsere Geburtsstädte beginnen beide mit B. Und wie nennt man euch? Botscher ?« »Ja, so ähnlich: Bocheros oder Chimbos, nach den Vögeln aus der Gegend. Wieso wirst du Schwarzspanier genannt? Hast du spanisches Blut?«
»Um das herauszufinden, bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als dich hierherzusetzen«, sagte Beethoven, und es war durchaus als schlüpfrige Anspielung gemeint. Beatriz blieb auf ihrem Stuhl sitzen,
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