Die 10. Symphonie
keiner der beiden auflöste. Dann endlich ging die Tür hinter ihnen auf, und Dona Susana war zurück. Die Richterin setzte sich hinter ihren Schreibtisch.
»Hast du den Scheck erhalten?«, erkundigte sie sich. »Welchen Scheck?« »Für das Sachverständigengutachten.« »Nein. Ich dachte, ich würde das Geld von dir bekommen.«
»Das fehlte noch, dass ich auch für Buchhaltung und Kasse zuständig bin!«, sagte die Richterin gutgelaunt. Sie hielt die Hand vor den Mund, um ihr schiefes Lächeln zu verbergen, und fügte hinzu: »Frag gleich Alejandra danach, das ist die etwas Rundliche, die dahinten sitzt.« »Ja, die hab ich schon gesehen.«
»Also gut. Was gibt's Neues?«, erkundigte sich die Juristin geschäftsmäßig.
Daniel sah fragend zu dem Gerichtsmediziner hin über, unsicher, ob er in seiner Gegenwart offen reden konnte. Doch Dona Susana beruhigte ihn mit einem Lächeln. »Du kannst ganz offen sein. Felipe gehört zum Team.« Er zog ein Papier aus der Tasche, auf dem die Noten und ihre Namen standen, und breitete seine Theorie über Beatriz de Casas in allen Einzelheiten aus. »Wir haben dir auch etwas mitzuteilen«, sagte der Gerichtsmediziner nach Daniels Bericht. »Die Polizei nimmt an, dass sich das Manuskript der zehnten Symphonie in einem an ein Girokonto angeschlossenen Safe befindet.« »Wie seid ihr darauf gekommen?«
»Durch eine Nachricht in Thomas' Handy«, erläuterte Pontones. »Und da wir durch deine großartige Arbeit wissen, dass die Noten auf Thomas' Kopf die geographischen Koordinaten von Österreich sind, gehen wir davon aus, dass der Safe zu einer Bank in Wien gehört. Da ist allerdings ein kleines, bisher noch unüberwindliches Hindernis: Die Noten geben nur acht Ziffern her.« »Und ein Bankkonto hat zwanzig Stellen«, ergänzte Daniel Pontones' Gedanken.
»Das stimmt nicht ganz. In Österreich besteht die Kennziffer nicht aus zwanzig Ziffern, wie in Spanien, sondern nur aus sechzehn. Die ersten fünf identifizieren das Bankinstitut, und die übrigen sind die Nummer des Girokontos.«
»Gibt es da keine Prüfziffer?«
»Nein. Auch die Bankfiliale wird, anders als bei uns, nicht angegeben.«
Die Juristin nahm einen Kugelschreiber und ein leeres Blatt, auf das sie einige Zeichen schrieb:
ESPP BBBB GGGG kkKK KKKK KKKK
ATPP BBBB BKKK KKKK KKKK
»Jetzt versteh ich gar nichts mehr.«
»Das kann ich mir vorstellen. Wenn die Zahlen, die du uns gegeben hast, von einem internationalen Code sind, wird die Sache n ämlich noch komplizierter«, sagte die Richterin. »Weißt du, was die IBAN ist?« »Die International Bank Account Number«, kam die Antwort von dem Gerichtsmediziner, ehe Daniel reagieren konnte. »Mit der kann man ein bestimmtes Konto an einem Finanzinstitut auf der ganzen Welt identifizieren.« »Die erste Reihe hier ist eine spanische IBAN«, erklärte die Richterin. »Die Buchstaben ES zeigen an, dass das Konto ein spanisches ist, dann folgen die zwei IBAN-Prüfziffern und dann die zwanzig Ziffern der Kontonummer. Die zweite Reihe ist eine österreichische IBAN. AT ist die Abkürzung für Österreich, dann kommen die zwei Prüfziffern, danach die fünfstellige Bankleitzahl und schließlich die elf Ziffern des Girokontos.« »Insgesamt zwanzig Zeichen«, sagte der Gerichtsmediziner. »Auf Thomas' Kopf sind jedoch nur acht Ziffern. Wo sind die restlichen zwölf?«
52
Wien, November 1826
Acht Monate nachdem Beethoven die junge Beatriz de Casas in der Spanischen Hofreitschule kennengelernt hatte, waren die beiden ein Paar geworden. Ein Vorwand, sich zu treffen, ohne Ger üchte aufkommen zu lassen - der Altersunterschied zwischen ihnen betrug über dreißig Jahre -, war schnell gefunden: In ganz Wien war bekannt, dass Beethoven die Angewohnheit hatte, Ideen, die ihm bei seinen Spaziergängen kamen, in ein Notizbüchlein einzutragen, das er immer dabeihatte, wenn er außer Haus ging. Die Themenbruchstücke oder einfachen Motive aus drei oder vier Noten waren größtenteils mit Bleistift geschrieben und in einer Schrift, die Beethoven selbst manchmal nur mit Mühe entziffern konnte. Da Beatriz am Konservatorium studierte, war es Beethoven ein Leichtes, ihrem Vater klarzumachen, dass er ihre Hilfe als Kopistin brauchte, um die ungeheure Menge an Material zu bewältigen, die er mit fieberhaft arbeitendem Geist hinkritzelte, wenn ihm eine Eingebung kam. Das Problem mit dem Pferd war übrigens gelöst - Beethoven hatte es schließlich zu einem Spottpreis verkauft, um einen
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