Die 10. Symphonie
als wäre sie misstrauisch. Den Musiker belustigte der Argwohn des Mädchens. »Wovor hast du Angst?«
»Ich habe keine Angst, aber alles zu seiner Zeit. Jetzt reden wir. Und du hast meine Frage von eben noch nicht beantwortet: Wieso hast du nie geheiratet?« Beatriz hätte die Frage kein weiteres Mal mehr aufschreiben müssen - Beethoven verstand sehr wohl, dass sie auf eine Antwort bestand und sich diesmal nicht abspeisen lassen würde.
Der Musiker schwieg eine Weile, w ährend Beatriz' Blick erwartungsvoll auf ihm ruhte. Er wollte sich der Antwort nicht entziehen, doch er suchte nach einer Formulierung, mit der er die Gefühle der Frau nicht verletzen würde. Schließlich sagte er: »Für mich ist die Musik das Wichtigste.«
Die Antwort schien Beatriz zu emp ören. »Das ist vollkommener Blödsinn.«
»Ich wusste, dass wir darüber nicht sprechen sollten. Los, schreib die letzten Takte ab, die noch verbleiben.« »Nein, zuerst erklärst du mir, was das heißen soll: Für mich ist die Musik das Wichtigste. War Bach etwa nicht verheiratet und hatte zwanzig Kinder?« »Doch, aber ...«
»Und Mozart? Und Haydn? Sie waren alle verheiratet, und keinem von ihnen wäre es eingefallen, die Ehe nicht einzugehen, weil sie die Musik für das Wichtigste hielten.« Beethoven hob zu einer Antwort an, doch ihm fiel nichts darauf ein.
»Waren denn alle Frauen, denen du im Leben begegnet bist, eigensüchtige, egozentrische Hexen, die von dir verlangt haben, dass du dich Tag und Nacht nur um sie kümmerst?«
»Nein. Ich war es, wegen dem letztlich jede einzelne dieser Liebesgeschichten gescheitert ist.« »Aber warum?«
»Ich glaube nicht an die Ehe. Oder, wenn dir das lieber ist, ich glaube an die Liebe, aber nicht ans Zusammenleben.« »Wie kannst du sagen, dass du nicht an etwas glaubst, das du nie erlebt hast?«
»Von klein auf hörte ich meine Mutter zu ihren Freundinnen sagen: Wenn Sie aber meinen guten Rat annehmen wollen, bleiben Sie ledig, so haben Sie das wahre ruhigste, sch önste, vergnügteste Leben ... Denn was ist Heiraten? Ein wenig Freud, aber nachher eine Kette von Leiden. Und meine Mutter war eine kluge Frau.« »Aber mit einem Trinker verheiratet.« »Das stimmt. Sag mal, wieso reden wir überhaupt übers Heiraten? Willst du, dass ich bei deinem Vater um deine Hand anhalte?«
In dem Augenblick klopfte es an die Wohnungst ür. Beethoven hörte freilich nichts davon, obwohl sehr kräftig geklopft wurde. Er war nun praktisch völlig taub. Seine junge Geliebte musste ihn darauf aufmerksam machen, dass sie Besuch bekamen.
Beethoven öffnete die Tür, und unerwartet stand ihm dort Beatriz' Vater gegenüber. Er war nicht gerade allerbester Laune.
»Herr Beethoven, ich weiß, dass meine Tochter hier ist. Sie wird jetzt mit mir kommen.«
Beethoven gab ihm zu verstehen, dass er seine Worte nicht h ören konnte.
»Dann lassen Sie mich durch«, sagte Don Leandro. Gewaltsam schob er den Musiker zur Seite und drang in dessen Wohnung ein.
Beethovens Haus hatte acht Zimmer: K üche, Wasch- und Bügelzimmer und einen Schlafraum für die Bediensteten. Die übrigen Räume nutzte er selbst. Sie waren alle der Musik gewidmet - sogar das Schlafzimmer, in dem, weil es der größte Raum war, seine zwei Klaviere standen. Don Leandro machte sich daran, die Hauptzimmer des Komponisten zu durchsuchen, und ekelte sich sichtlich vor der Unordnung und dem Schmutz, die ihm dort in fast jedem Winkel entgegenstarrten.
»Ist das hier ein Saustall! Wie können Sie es nur wagen, meine Tochter unter solchen Bedingungen arbeiten zu lassen?«
Beatriz' Vater war bei den Zimmern der Bediensteten angelangt. Doch dort fand er nur eine Dienstmagd, über ein Waschbrett gebeugt, und gab die Suche auf. Er wandte sich Beethoven zu, den ausgestreckten Zeigefinger auf ihn gerichtet, als wolle er ihn erschießen, und sagte: »Beethoven, bis jetzt habe ich Sie als Komponist sehr verehrt. Doch ich muss sagen, dass mir nun sogar Ihre Musik verabscheuenswert erscheint.« Der Komponist konnte nichts von dem, was ihm der Mann entgegenschleuderte, verstehen und wandte ihm auf der Suche nach einem Konversationsheft den Rücken zu. Don Leandro aber packte ihn am Arm und zwang ihn mit einer solchen Heftigkeit, sich zu ihm zu drehen, dass der Maestro beinahe hingefallen wäre.
»Es ist mir einerlei, ob Sie mich hören können oder nicht. Ich weigere mich, diese schmuddeligen Hefte zu benutzen, diese Krücken! Denn genau das sind Sie: ein Krüppel! Ein
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