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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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als einmal habe ich Männer, die ihre Frauen misshandelt haben, durch die Analyse der Schrift erwischt - und die einstweilige Verfügung wurde erlassen, noch bevor die psychologische Untersuchung stattgefunden hatte ... «
    Mateos wedelte mit dem Briefb ündel und fragte: »Nicht mal ein kurzer Blick, hm?«
    Salmer ón nahm die Briefe. Er schaute sich um; die vielen Leute störten ihn.
    »Gehen wir woandershin, wo wir mehr Ruhe haben.« Die zwei Polizeibeamten schlossen sich in ein Büro ein und ließen die Rollläden herunter. Der Graphologe ordnete die zwölf Briefe sorgfältig in zwei übereinanderliegende Reihen. Er studierte sie eine Weile schweigend und nahm dabei gelegentlich eine starke Lupe zu Hilfe. Dann setzte er schließlich die Brille ab. »Ich habe, glaub ich, genug gesehen.« »Und was?«
    »Wer diese Frau auch immer ist, du solltest sehr vorsichtig sein mit ihr. Die Schrift ist scheinbar fröhlich, wie von einer kontaktfreudigen Person, aber eben nur scheinbar. In Wahrheit hast du es mit einem kalten, introvertierten Charakter zu tun. Siehst du? Die Schrift neigt sich nach links. Die Person ist raffiniert und verschwiegen, das sind die zwei typischsten Charakteristika bei Kriminellen. Siehst du, wie sie die 0 s formt? Sie schließen sich zu einem perfekten Kreis, was auf jemanden schließen lässt, der gerne Dinge verbirgt. Auch die Punkte auf den I s sind bogenförmig geschlossen, das deutet auf Verstellung und Reserviertheit hin. Die T s sind besonders aussagekräftig, denn die Querstriche kreuzen den Stamm überhaupt nicht. Das weist auf eine emotional gequälte Person hin, ohne ein klares Bewusstsein für Gut und Böse.« »Und das ist alles wissenschaftlich erwiesen?« »In der Schrift eines Menschen kann man um die dreihun dert Merkmale ausmachen. Nat ürlich sind nie alle auf einmal zu sehen - wenn man sie einzeln analysiert, sagen sie womöglich nicht viel aus. Aber wenn man sie zusammen anschaut und jedes Merkmal das vorhergehende bestätigt, dann sind die Schlüsse, zu denen man gelangt, durchaus verlässlich.« »Bitte mach weiter.«
    »Nimm die Lupe und betrachte den Endstrich des T : Er drückt Feindseligkeit und Rachsucht aus. Die Schrift ist stark auseinandergezogen, was auf den Wunsch hindeutet, Aufmerksamkeit zu erregen, oder zumindest darauf, dass sie will, dass man sich immerzu um sie kümmert. Das ist auf die Schnelle alles, was mir daran auffällt. Aber mit etwas mehr Zeit könnte ich dir noch einiges mehr sagen. Woher sind die Briefe?«
    »Sie haben mit einem Fall zu tun, in dem ich gerade ermittle.«
    »Ich habe diese Schrift schon mal irgendwo gesehen. Für uns Graphologen ist die Handschrift eines Menschen wie für andere ein Gesicht. Wir vergessen sie nie.« »Kann es nicht sein, dass es eine ähnliche Schrift war? Schau, diese Briefe sind von 1979. Da warst du noch ein Baby, oder?«
    »Hm. Trotzdem ...«, antwortete Salmerón. »Lass mich noch ein paarmal drüberschauen, und wenn ich die Schrift jemandem zuordnen kann, ruf ich dich an.« Nun verließ er eilig das Büro. Mateos blieb allein zurück mit einem Bündel Briefe, die ihn, davon war er immer mehr überzeugt, auf die Spur von Ronald Thomas' rätselhaftem Mörder bringen konnten.

56
    Wegen eines Missverst ändnisses kam Paniagua zu spät zum Konzert bei Marañón: Durán und er hatten beide angenommen, dass sie vom anderen mit dem Taxi zu Hause abgeholt würden. Schließlich machte er sich allein auf den Weg; seine Verspätung hatte jedoch keine besonderen Auswirkungen, da das Konzert, in dem der große Klaviervirtuose Isaak Abramowitsch die letzten drei Sonaten von Beethoven spielen würde, noch nicht angefangen hatte. Der allseits als exzentrisch bekannte Abramowitsch war wahrscheinlich der einzige Pianist ersten Ranges, der sein Klavier eigenhändig stimmte. Als er eine Saite des Instruments gespannt hatte, die seiner Meinung nach zu tief klang, war diese gerissen, wie eine kleine Peitsche durch die Luft geschnellt und ins Gesicht des Virtuosen geschlagen. Sie hinterließ nur eine kleine, augenscheinlich oberflächliche Wunde an der Augenbraue, dennoch hatte Marañón es vorgezogen, den Musiker in die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses bringen zu lassen und mit dem Konzert erst zu beginnen, nachdem die Wunde fachgerecht von einem Arzt versorgt worden war.
    In der Zwischenzeit war ein Imbiss aufgetragen worden, um die Wartezeit zu verk ürzen, und die Konzertbesucher plauderten angeregt miteinander. Die

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