Die 10. Symphonie
Stimmgabeln von 1815 mit 423,20 Hertz gefunden. Beethoven war damals noch quicklebendig«, erklärte Daniel. »Nur zehn Jahre später stimmte man dort jedoch nach einem A mit 451 Hertz. Den ersten Versuch, das 440-Hertz-A allgemein festzulegen, unternahm der nationalsozialistische Propagandaminister Joseph Goebbels. Er organisierte 1939 einen internationalen Kongress zu diesem Thema.« Paniagua nahm ein Stück Kreide und begann eine Reihe Zahlen an die Tafel zu schreiben. Mateos blickte wieder durch das runde Fenster und öffnete schließlich vor lauter Ungeduld die Tür.
»Ich bin gleich bei Ihnen«, beschwichtigte ihn Daniel. Er hatte die Zahlen schon angeschrieben und klopfte sich den Kreidestaub von den Händen.
C = 261,63 Cis = 277,18
A = 440 A(19.Jh.) = 451
»Wie ihr seht, hatte das A zu Beethovens Lebzeiten über 15 Schwingungen mehr als das heutige. Das ist ein beträchtlicher Unterschied, denn wenn ihr mal schaut: Nur ungefähr 15 Schwingungen sind es, die das C vom Cis unterscheiden - womit wir schon einen Tonartwechsel hätten.«
»Das heißt also«, schloss Sotelo daraus, »würde Beethoven heute leben und die Fünfte komponieren, wäre sie einen Halbton tiefer?«
Mateos ging nun entschlossen auf Paniagua zu, damit dieser nicht auf die Idee kam, seine Erkl ärungen noch weiter auszuf ühren. Die Studenten sahen, dass der Unterricht endgültig vorbei war, und verließen schleunigst den Seminarraum.
Als sie alleine waren, sagte Mateos zu Paniagua: »Wir haben einen begründeten Verdacht, wer Thomas ermordet haben könnte. Sie müssen uns helfen, den Täter zu schnappen.«
Doch als Mateos Daniel sagte, wen er verd ächtigte, hielt der das Ganze für einen schlechten Scherz.
58
Nach Inspector Mateos' Besuch f ühlte Daniel sich verpflichtet, sofort im Gericht anzurufen und Dona Susana von dem sonderbaren Gespräch zu berichten. Er fasste kurz zusammen, was der Polizist gesagt hatte, und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Die Stimme der Richterin klang schwach; man merkte deutlich, dass sie sich von dem Zusammenbruch am Abend zuvor noch nicht wieder erholt hatte. »Die letzte Zeit war sehr stressig«, erklärte sie. »Wir sind wegen der knappen Mittel schlecht besetzt, und die Arbeit häuft sich an. Aber ich will nicht, dass man uns vorwirft, wir seien langsam oder würden hier Däumchen drehen. Seit einigen Wochen nehme ich Medikamente gegen die Nervosität. Offenbar hat die Mischung aus Anxiolytika und Alkohol diesen Stromausfall bewirkt.« »Du solltest mal Urlaub nehmen. Wenn du so weitermachst, bringst du dich ja um!«
»Felipe meint, Nelsy sei schuld an dem Schwächeanfall. Dieses unverschämte, rücksichtslose Weibsstück!« »Ja, je dümmer, desto dreister«, pflichtete Daniel ihr bei. »Vergessen wir diese Frau und sprechen über unsere Angelegenheiten«, sagte die resolute Richterin. »Ich würde gerne persönlich mit dir über dein Gespräch mit Mateos reden. Wann hast du Zeit?«
»Wenn du willst, komm ich noch heute Vormittag vorbei«, bot Daniel an - immer bestrebt, Dona Susanas Wünschen so schnell wie möglich nachzukommen. »Dummerweise hat es gerade eine Messerstecherei in unseren Zellen gegeben, und einer von meinen Gefangenen ist schwer verletzt. Wie sieht es heute Abend aus?« »Um sechs gebe ich ein Seminar, aber danach habe ich nichts mehr vor. Ich könnte um halb acht in deinem Büro sein.«
»Was hältst du davon, zu mir nach Hause zu kommen? Nach fünf ist das Büro finster und trostlos, und ich könnte dir nicht einmal einen Kaffee anbieten. Weißt du, wo ich wohne?«, fragte sie und erklärte ihm den Weg zu ihrem Haus in der Siedlung Entrambasaguas. »Es gibt auch einen Eingang, der zur Casa de Campo liegt, wenn das praktischer für dich ist.«
Daniels Orientierungssinn war ausgesprochen schlecht. Er musste die Richterin zweimal auf dem Handy anrufen und erneut nach dem Weg fragen. Schlie ßlich hatte er das Haus gefunden. Er stand vor einer 250 Quadratmeter großen Villa, umgeben von einer efeubewachsenen Mauer. Es war das letzte Haus in der Straße. Das Gartentor war nur angelehnt, also ging Daniel hinein, ohne anzuklingeln. An die Haustür war mit einem Reißnagel ein Zettel gepinnt, auf dem er angewiesen wurde, einmal ums Haus herum zur Hintertür zu gehen.
Dort war ein kleiner Wintergarten mit unz ähligen Töpfen, in denen die verschiedensten Pflanzen und Blumen wuchsen.
An einem Tisch, den Laptop vor sich, sa ß Dona Susana. Sie wandte der Tür den Rücken zu
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