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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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Gerichtsmediziner, auf der Bildfl äche und wies ihn an, ihre Beine hochzulegen, damit das Blut wieder leichter ins Gehirn fließen konnte. Dann versuchte er, wie die Männer mit den weißen Handschuhen in der U-Bahn von Tokio, die Menschen zurückzudrängen. Er wehrte die aufdringlichen Leute mit einer solchen Vehemenz ab, dass Handgreiflichkeiten früher oder später unvermeidlich schienen. »Legen Sie sie auf die Seite«, ordnete er an, »damit ihre Zunge nicht die Luftröhre verschließt.« Marañón gehorchte seinen Anweisungen und drehte die Richterin auf die rechte Seite. In dem Augenblick erwiderte einer der Gäste Pontones' Grobheit mit einem heftigen Stoß, und dieser fiel geräuschvoll zu Boden. Marañón erfasste die Lage sofort und hob die Richterin mit beiden Armen vom Boden hoch. Ihr Gesicht war vollkommen leblos. Sie sah aus wie tot.
    Der Million är befahl seinem Sekretär, der immer im richtigen Augenblick zur Stelle war: »Hol den Wagen heraus, Jaime. Ich fahre Dona Susana nach Hause.« Während Marañón zur Tür eilte, den reglosen Körper der Richterin in den Armen, lag Pontones wie eine Schildkröte auf dem Rücken und versuchte einen Mann loszuwerden, der doppelt so schwer war wie er und offensichtlich beschlossen hatte, ihm hier und jetzt einen Denkzettel zu verpassen, um damit seine Angetraute zu beeindrucken. Obwohl sich das Gewitter bereits entladen hatte, lag somit immer noch etwas Bedrohliches in der Luft.

57
    Am Tag nach dem Katastrophenkonzert erschien Inspector Mateos im Musikwissenschaftlichen Institut. Er hatte sich Paniagua vorher nicht angek ündigt und erwischte ihn deshalb mitten im Unterricht: Gerade erklärte er seinen Studenten die Kriterien, nach denen Komponisten die Tonarten für ihre Stücke wählten. Im Augenwinkel sah Paniagua, wie Mateos durch die runde Glasscheibe in der Tür spähte. Er kam mit dem Gesicht so nah an das Glas heran, dass es von seinem Atem beschlug. Der Polizist wischte mit dem Ärmel seines Jacketts die Scheibe sauber und führte seinen rechten Zeigefinger und den Daumen dicht zusammen: Damit wollte er Daniel zu verstehen geben, dass er sein Seminar nur kurz unterbrechen sollte.
    Doch der wollte den begonnenen Gedankengang erst noch zu Ende f ühren, bevor er den Polizisten empfing. »Bei Instrumenten wie der Geige oder der Gitarre ist es einleuchtend, dass der Komponist die Tonart danach aussucht, wie das Instrument gestimmt ist. Bei der Gitarre zum Beispiel sind zwei der sechs Saiten E-Saiten. Dadurch ist diese Tonart einerseits für den Gitarristen leicht zu spielen, darüber hinaus klingt sie aber auch schöner und volltönender. Die Geige ist in den Quinten G, D, A und E gestimmt - es ist also nicht verwunderlich, dass Beethoven sein ber ühmtes Violinkonzert in D geschrieben hat. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen der Komponist eine bestimmte Tonart aus außermusikalischen Gründen wählt. Die Zauberflöte von Mozart steht in Es, der Tonart mit den drei B. Die Zahl Drei hat eine große Bedeutung für die Freimaurer, denen der Komponist mit diesem Werk huldigen wollte ... So, das war's schon für heute, ihr müsst mich nun bitte entschuldigen: Ich habe mich um eine wichtige Angelegenheit zu kümmern.«
    Doch Sotelo hob die Hand und wollte noch eine letzte Frage stellen.
    »Also gut, aber schnell«, sagte Daniel, weil Mateos nicht mehr zu sehen war.
    »Man sagt ja, dass die Tonarten für Musiker wie Beethoven auch eine emotionale Bedeutung haben - was heißt das genau?«
    Daniel antwortete, w ährend er seine Blätter und Bücher in eine kleine schwarze Aktentasche räumte. »Ist das nicht offensichtlich? c-Moll zum Beispiel assoziierte Beethoven mit Aufgewühltheit, deshalb verwendete er diese Tonart für die fünfte Symphonie.« »Könnte es nicht auch andersherum sein? Dass die Fünfte aufwühlend ist, weil er sie in c-Moll geschrieben hat?« »Das glaube ich nicht«, antwortete Paniagua, »denn eigentlich bedeutet c-Moll nichts. Oder, besser gesagt, bedeutet es für einen Musiker des 21. Jahrhunderts etwas anderes als für einen, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelebt hat, weil sich die Frequenz des Stimmtons A im Laufe der Zeit verändert hat.«
    Er bezog sich darauf, dass die Instrumente in den Orchestern seit dem 17. Jahrhundert immer h öher gestimmt wurden, um einen immer strahlenderen Ton zu erreichen - zum Leidwesen der S änger, denen es dadurch zunehmend Mühe bereitete, die hohen Töne zu singen. »Man hat in der Dresdner Oper

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