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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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einmal in Ruhe durchzusprechen.
    »Mir scheint, diesmal hast du wirklich einen Bock geschossen, Junge«, sagte Humberto, während er sorgfältig und mit Bedacht eine feine Olivenölspur auf dem gerade servierten Toast zog.
    »Ich kenne sie. Sie wird sich schon wieder einkriegen.« »Sie wird sich einkriegen?«, fuhr Cristina ihn in einem Ton an, der keinen Zweifel daran ließ, auf wessen Seite sie stand. »Wer drängt sie denn dazu, ein Baby zu bekommen? Es sieht ja schon fast so aus, als sei dir das Kind wichtiger als sie.«
    »Nein, das Einzige, was Daniel zurzeit interessiert, ist Beethovens zehnte Symphonie«, sagte Humberto. »Hat sie euch das etwa auch erzählt?« Daniel schüttelte bedrückt den Kopf. »Na ja, so ganz unrecht hat sie nicht. Wieder und wieder höre ich in meinem Kopf die Musik, die bei Marañón gespielt wurde. Und jedes Mal bin ich überzeugter, dass es die echte Symphonie war und nicht bloß eine Rekonstruktion. Wenn ich es nur beweisen könnte!«
    »Das Vernünftigste wäre«, verkündete Cristina und stibitzte Humberto die Hälfte seines Olivenöltoasts, »Beethoven erst einmal zu vergessen. Es ist nicht gut, sich so auf etwas zu versteifen. Lass ein paar Tage verstreichen, bis der Sturm sich gelegt hat, und dann nimmst du ein Flugzeug nach Grenoble und präsentierst dich dort mit einem Blumenstrauß. Deine Liebste will umsorgt und verwöhnt sein, erst recht in einer solchen Situation.« »Wie könntest du denn versuchen zu beweisen, dass es die echte Symphonie war, die du bei Marañón gehört hast?«, kam Humberto wieder auf Beethoven zurück - nicht ohne Cristina einen finsteren Blick dafür zuzuwerfen, dass sie ihm die Hälfte seines Frühstücks entwendet hatte. »Mit der Partitur, die Thomas benutzt hat. Sie müsste eine Transkription von Beethovens Originalmanuskript sein. Viele Briefe und andere Zeugnisse aus jener Zeit deuten darauf hin, dass dieses Manuskript existiert. Ich könnte natürlich auch versuchen, an eine Aufnahme des Konzerts zu gelangen, um das Werk in Ruhe zu studieren und systematisch die Elemente darin zu bestimmen, die ihm eindeutig Beethovens Stempel aufdrücken.« »Gibt es keine Möglichkeit, eins von beiden zu bekommen? Kann doch sein, dass Marañón das Konzert aufgenommen hat.«
    »Ja, genau«, schimpfte Cristina. »Gieß du noch Öl ins Feuer. Irgendwann vergisst er, dass er eine Freundin hat und diese ein Baby im Bauch und dass er sich ein wenig um die beiden kümmern sollte.« »Cristina, reg dich nicht so auf. Diese Sache ist wichtig. Es geht hier irgendwie auch um Daniels Karriere. Alicia hat ja immerhin selbst keinen Augenblick gez ögert, für zwei Jahre nach Grenoble zu gehen, nur weil das gut in ihren Lebenslauf passt.«
    »Zunächst«, lenkte Daniel von diesem heiklen Thema ab, »muss ich mich darauf konzentrieren, die in Thomas' Hinterkopf eintätowierten Noten zu entziffern. Das ist meine Aufgabe als Sachverständiger.« »Das eine schließt das andere nicht aus«, sagte Humberto.
    »Du hast recht. Ich könnte zusätzlich Marañón um ein Gespräch bitten.« »Kennt er dich?«
    »Vor dem Konzert haben wir ein Weilchen miteinander geplaudert. Er wird sich noch an mich erinnern. Ich weiß allerdings nicht, ob er mich empfängt. Solche Leute haben einen sehr vollen Terminkalender. Aber möglicherweise hat er das Konzert wirklich aufgezeichnet.« Cristina und Humberto fiel auf, dass Daniel weder seinen Kaffee noch den Orangensaft noch das Sandwich mixto angerührt hatte.
    »Iss ein wenig«, ermunterte ihn Humberto. »Du siehst nicht gut aus. Der Krach mit Alicia hat dir mehr zugesetzt, als du wahrhaben willst.«
    »Das ist es nicht«, behauptete Daniel. »Ich habe einfach keinen Hunger.«
    »Und der Mord hat dich sicher auch nicht unberührt gelassen. Hast du den Kopf gesehen?«
    »Sei still, erinnere mich nicht daran. Das ist alles sehr, sehr eigenartig, muss ich sagen. Es kommt nicht besonders häufig vor, dass jemand einen Musiker umlegt.« »Und was ist mit John Lennon?«, warf Cristina ein.
    »Er ist der Einzige. Oder weißt du noch einen?« »Mir fällt gerade keiner ein«, gab sie zu. »Ich erinnere mich nur an einen weiteren Fall in der Geschichte: Alessandro Stradella, ein Komponist aus dem 17. Jahrhundert. Er hatte dem Edelmann, in dessen Diensten er stand, die Geliebte ausgespannt. Sein Herr schickte ihm zwei Totschläger, die ihn mit Dolchstichen niedermetzelten. Wir Musiker neigen eher zum Selbstmord: David Munrow, Kurt Cobain,

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