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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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Blick probierte Daniel schnell von der neuen Pecorino-Soße. Er kostete sie wie ein Weintester, mit eindeutigem Ergebnis: »Die Trüffelsoße mag ich lieber.«
    »Soll ich es wieder mitnehmen?« »Nein, geben wir der Sache eine Chance.« Zufrieden zog Enzo sich zurück, und Alicia fragte: »Gut, und was hast du bezüglich dieser rätselhaften Noten herausgefunden?«
    »Ein bisschen mehr Zeit musst du mir schon lassen. Weißt du, wie viele verschiedene Möglichkeiten es gibt, eine Nachricht mit Hilfe von Noten zu verschlüsseln?« »Welche zum Beispiel? Sag mir eine.« »Die Noten können Buchstaben entsprechen. In der deutschen Notation ...«
    »Ich weiß, das hast du mir alles schon mal erzählt«, unterbrach ihn Alicia. »Also gut, nehmen wir an, die Noten sind Buchstaben. Was für einen Sinn hätten sie in diesem Fall?«
    Daniel nahm einen Zettel aus der Hosentasche, auf dem eine Reihe Buchstaben unter den Noten stand, und zeigte ihn Alicia.

    »Das sind insgesamt vierzig Buchstaben«, sagte Daniel. »Ich habe sie aus dem Notensystem herausgenommen und Tausende Kombinationen ausprobiert. Zum Beispiel habe ich sie in ein Quadrat geschrieben, weil ich dachte, dass darin vielleicht wie in einem Wortsuchrätsel versteckte Wörter enthalten sein könnten. Aber ich habe kein einziges gefunden.«

    »Vielleicht ist es kein Wortsuchrätsel, sondern ein Anagramm, und man kann aus diesen ganzen Buchstaben einen sinnvollen Satz bilden.«
    »Möglich - aber wie? Es ist wirklich zum Haareraufen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es noch jede Menge andere Tricks gibt.«
    Daniel nahm die R ückseite des Zettels und schrieb darauf ein Notensystem mit einer Tonleiter.

    Er erkl ärte Alicia: »Im 18. Jahrhundert war es eine gängige Praxis, Nachrichten zu verschlüsseln, indem man die ers ten zw ölf Buchstaben des Alphabets derselben Anzahl aufsteigender Noten gleichsetzte und die anderen zwölf einer Gruppe absteigender Noten. Dein Name, Alicia, würde nach diesem System folgendermaßen aussehen.«

    Alicia betrachtete die sechs Noten mit Genugtuung. »Ich wusste schon immer, dass ich einen sehr musikalischen Namen habe.«
    »Die Nachrichten, die mit dieser Methode verschlüsselt werden, haben den Vorteil - in unserem Fall den Haken -, dass sie nur entziffert werden können, wenn der Empfänger den Schlüssel kennt. Der aber ist vollkommen willkürlich. Das heißt, ich habe zum Beispiel den Buchstaben A der Note C zugeordnet, aber wir könnten genauso gut vereinbaren, dass das A einem D entspricht, und so weiter.« »Himmel, ganz schön verzwickt«, sagte Alicia. »Es wundert mich nicht, dass diese Richterin einen Berater für Musik braucht. Wirst du eigentlich dafür bezahlt?« »Dazu hat sie noch nichts gesagt.«
    »Dann sprich du es an. Nicht dass du der Polizei einen Fall löst und hinterher gar nichts davon hast.« »Was interessiert es mich, ob ich bezahlt werde oder nicht?«, ereiferte sich Daniel. »Falls es mir gelingt, die Noten zu entziffern, wäre das die kopernikanische Wende in meinem Leben. Ich könnte nicht nur helfen, einen Mord aufzuklären, sondern würde vielleicht sogar den Heiligen Gral der Musik finden: das Manuskript von Beethovens zehnter Symphonie! Mein Name wäre für immer und ewig in riesigen Lettern in die moderne Musikwissenschaft eingeschrieben! «
    »Hm. Themawechsel: Reden wir doch mal über unser nächstes Treffen. Wann kannst du nach Grenoble kommen?«
    »Es interessiert dich kein bisschen, was ich erzähle, oder?« »Wir haben doch schon über alles gesprochen. Das Thema ist erschöpft.«
    »Aber du sollst mir beim Nachdenken helfen. Du bist einfach gut darin, die richtigen Schlüsse zu ziehen.« »Ich bin vor allem Realistin«, seufzte Alicia. »Und als Realistin sage ich dir Folgendes: Wenn Beethoven solch ein Perfektionist war, wie du sagst, und immerzu gestrichen und korrigiert hat, um das vollkommene Werk zu schaffen, ist es doch das Wahrscheinlichste, dass er, sollte er tatsächlich ein vorläufiges erstes Manuskript der zehnten Symphonie fertiggestellt haben, dieses am Ende vernichtete.«
    »Wieso glaubst du das?«
    »Es wird ja wohl einen Grund dafür geben, dass das Manuskript in all den Jahren noch nicht aufgetaucht ist, oder?«
    »Schon, aber Beethoven ist nicht Brahms. Der verbrannte tatsächlich viele seiner Werke aus reiner Eitelkeit. Die Leute sollten nach seinem Tod nicht sehen, wie unvollkommen seine Musik vor ihrer musikalischen Reife war. Die Manuskripte einer fünften und

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