Die 10. Symphonie
nur, dass sich in seinem Schreibtisch neben diesen Schriftstücken auch zwei Miniaturporträts befanden. Eins zeigt Therese Gräfin Brunsvik, der Beethoven Für Elise gewidmet hatte, und das andere war eine Frau mit den Zügen von Antonie Brentano.« »Ja, gut, aber was ist Ihre Vermutung?« »Falls Beethoven Freimaurer gewesen sein sollte, glaube ich kaum, dass er eine Liebesbeziehung mit der Frau eines Freundes eingegangen wäre. Die Freimaurer legen viel Wert auf Tugendhaftigkeit. Aber es wird auch von einer Verbindung Beethovens zu den Illuminaten gesprochen, deren Haltung zum Thema Untreue vielleicht eine andere war.«
»Und wenn der Brief, den ich hier in Wien gefunden habe, an dieselbe Frau gerichtet ist - wie kommt er dann bitte in die Hofreitschule?«
»Wir wissen es nicht. Mit Beethovens Briefen gibt es ohnehin so viele Ungereimtheiten. 1911 zum Beispiel veröffentlichte die Zeitschrift Die Musik einen vierten Brief an die Unsterbliche Geliebte und verursachte damit er heblichen Wirbel unter Kennern. Nach wenigen Tagen stellte sich jedoch heraus, dass der Brief eine F älschung war und nur zum Scherz gedruckt wurde.« »Aber der Brief aus der Hofreitschule ist echt, das hat die Polizei bestätigt. Und es gibt noch etwas, über das wir bisher nicht gesprochen haben: Dort, wo der Brief lag, hat unzählige Jahre lang offenbar noch etwas anderes gelegen. Vielleicht eine Partitur oder Ähnliches. Halten Sie es für möglich, dass irgendjemand die zehnte Symphonie ... ich meine, könnte sie dort aufgefunden worden sein?« Daniel antwortete nicht auf die Frage. Ihn beschäftigte die halbe Million, die Jesus Marañón geboten hatte, wenn er ihm sagen würde, wo sich das Beethoven-Manuskript befand.
38
Das Petit Carlton war eines der vielen Hotels, die in letzter Zeit von der Kette Petit Palais in Madrid er öffnet worden waren. Die Betreiber restaurierten alte, baufällige Gebäude, die die Besitzer nicht verkaufen wollten oder konnten - zum Beispiel wegen Familienstreitigkeiten -, mieteten sie für viele Jahre und wandelten sie in Designhotels um. Das Carlton befand sich in einem komplett umgearbeiteten alten Gasthaus aus dem 17. Jahrhundert und vereinte das Flair einer 400 Jahre alten Herberge mit den Annehmlichkeiten und technischen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts.
Schon seit das erste dieser Hotels eingeweiht worden war, hatte Mateos eins von innen sehen wollen, um herauszufinden, ob ein solches Etablissement h übsch genug war als künftiger Ort für seine amourösen Abenteuer. Das Treffen mit den Bonapartes bot ihm einen ausgezeichneten Vorwand dafür, seine Neugier zu befriedigen. Vielleicht hatte er deswegen für diesmal nicht gewollt, dass Aguilar ihn begleitete. Der Prinz hatte darum gebeten, dass die Zusammenkunft im Zentrum stattfand, da er um den Shoppingmarathon seiner Angetrauten an diesem Nachmittag nicht herumkommen würde, und der Inspector hatte die Bar des Petit Carlton als Treffpunkt vorgeschlagen, weil sich das Hotel im Herzen des Einkaufsviertels befand. Der Franzose sa ß, in Begleitung seiner Frau, vor einer fast leeren Bloody Mary in der Bar. Als der Inspector sich näherte, standen die beiden auf und gaben ihm höflich die Hand. Mateos bestellte sich einen Wodka auf Eis und folgte sogleich seiner üblichen Taktik bei solchen informellen Vernehmungen - er begann mit dem Satz: »Ich werde versuchen, Ihnen möglichst wenig Zeit zu rauben.« Der Prinz machte eine undefinierbare Bewegung mit dem Kopf, die sowohl Zustimmung als auch Ablehnung bedeuten konnte.
Mateos' Hauptinteresse war, herauszufinden, ob die Bonapartes die Polizei angelogen hatten oder ob es vielmehr Delorme gewesen war, der sich ein falsches Alibi verschaffen wollte, indem er behauptete, Sophie sei zur Tatzeit bei ihm gewesen. Doch es erschien ihm kl üger, dieses Thema nicht sofort anzuschneiden, um sie nicht gleich zu Beginn in die Defensive zu drängen.
»Wie ich Ihnen am Telefon gesagt habe«, fuhr er fort, »ermittle ich im Mordfall Ronald Thomas. Dazu würde ich gerne zwei, drei Punkte mit Ihnen klären.« »Stehen wir unter Verdacht?«, fragte der Prinz. Mateos lächelte. »Wieso fragen Sie?« Die Prinzessin, die bis dahin noch gar nichts gesagt hatte, erklärte nervös: »Mein Mann und ich wollen in keinen Skandal verwickelt werden, Inspector. Louis-Pierre stellt sich in drei Monaten zur Wahl, und jede Nachricht, die ihn mit einem Verbrechen in Verbindung bringt, könnte ihm schaden.« »Was für Wahlen
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