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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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hatte er seine bedeutendsten Werke schon geschaffen: die Eroica, die Fünfte, die Pastorale, die Siebte, das Kaiserkonzert. Er musste niemandem mehr etwas beweisen.« »Und warum komponierte er dann Schwachsinn ?«
    »Aus demselben Grund, aus dem Thomas umgebracht wurde: Geld.«
    »Viel Geld?«, fragte der Gerichtsmediziner, dessen Augen bei diesem Thema zu leuchten anfingen. »Sehr, sehr viel Geld«, bestätigte Daniel. »Wellingtons Sieg war damals Beethovens erfolgreichste Komposition, sowohl was die Beliebtheit beim Publikum anging als auch finanziell.«
    »Und wie ist es möglich, dass sie so in Vergessenheit geraten ist?«
    »Der Erfolg muss wohl eher auf sozialen und politischen Faktoren beruht haben als auf musikalischen. Das ist ähnlich wie mit vielen Fernsehmachwerken heutzutage. Doch im Grunde war es ein völlig substanzloses Werk, und Beethovens Anhänger sorgten dafür, dass es so wenig wie möglich erwähnt wurde.«
    »Also, ich persönlich habe schon Lust bekommen, das Stück zu hören«, grinste Pontones.
    Die Richterin machte einen vorsichtigen Versuch, sich dem eigentlichen Thema wieder zu n ähern. »Wellingtons Sieg wurde also aus finanziellen Gründen komponiert. War Beethoven etwa geldgierig?« Daniel, der die Chance zu einem weiteren musikhistorischen Exkurs heraufziehen sah, streckte sich kurz, bat um einen Kaffee, den er nicht bekam, weil die Kaffeemaschine defekt war, und fuhr fort:
    »Nicht mehr als jeder andere auch. Es hat in seinem Leben eine Zeit gegeben, in der er durch den Tod eines seiner Gönner so in Geldnot geraten war, dass er überlegte, Wien zu verlassen und nach England zu gehen. Es war ja bekannt in Wien, dass Haydn zum Beispiel mit seinen Konzerten und Kompositionen am englischen Königshof ein wahres Verm ögen anhäufte. Wisst ihr übrigens, was ein Metronom ist?«
    »Ja, natürlich«, antwortete Pontones. »Das hilft den Musikern, ein gleichmäßiges Tempo beizubehalten, oder?« »Richtig. Nun, dieser revolutionäre Apparat wurde zu Beethovens Lebzeiten von einem eigentümlichen Menschen erfunden: dem Ingenieur, Erfinder und Schausteller Johann Nepomuk Mälzel. Er genoss Beethovens Vertrauen, weil er ihm mehrere Hörrohre angefertigt hatte, die relativ gut funktionierten. Im Jahr 1812 war die finanzielle Situation der beiden Männer ein Desaster. Mälzel hatte ein Musikinstrument konstruiert, das er Panharmonicon nannte. Es hatte, ähnlich wie die Orgel, ein Gebalge und konnte mit zylindrischen Röhren, die Orgelpfeifen glichen, alle Instrumente einer Militärkapelle nachahmen. Er zeigte es Beethoven und überredete ihn, dafür ein Stück zu komponieren. Der schrieb daraufhin Wellingtons Sieg. Es war so erfolgreich, dass Beethoven es für Orchester adaptierte. In dieser Fassung wurde es zu dem beschriebenen Verkaufshit. Doch das Ganze endete damit, dass Beethoven Mälzel vor den Richter zitierte, weil dieser das Werk kommerziell ausschlachtete, als wäre es sein eigenes.« Die Tür ging auf, und ein Mitarbeiter des Gerichts erschien.
    »Frau Richterin, die Strafverteidiger sind da. Wir können mit der Gegenüberstellung beginnen, wenn Sie möchten.«
    Dona Susana erhob sich. Zu Daniel, der ebenfalls aufstand, sagte sie:
    »Bleib du hier. Erzähl Felipe alles über den finanziellen Wert des Manuskripts. Nachher wird er es mir dann zusammenfassen.«
    Eilig verlie ß die Juristin ihr Büro und begab sich ins Kellergeschoss des Gerichts, wo die Identifizierung stattfand. Daniel und der Gerichtsmediziner blieben allein zurück. Nach einer kurzen Stille sagte Pontones: »Daniel, Sie meinen also, dass die musikalische Qualität der Symphonie für den Marktwert des Manuskripts ausschlaggebend ist?«
    »Das ist zumindest einer der Faktoren.« »Aber hat Sie das, was Sie bisher hören konnten, nicht überzeugt?«
    »Doch, das hat es. Aber nichts garantiert mir, dass der Rest, sofern es ihn gibt, auf demselben Niveau ist. Auch wenn es sein kann, dass die Taubheit Beethovens Stil noch verbessert hat, weil ihn nun nichts mehr von seiner eigenen Musik ablenkte, fiel ihm das Komponieren wegen Depressionen und anderen gesundheitlichen Schwierigkeiten immer schwerer. Und es gibt noch einen weiteren Faktor, der Einfluss auf den Preis haben kann - vor allem, wenn nicht eine öffentliche Einrichtung bietet, sondern ein Privatsammler.« »Und der wäre?«
    »Der Preis kann auch davon abhängen, ob das Manuskript viele Korrekturen aufweist oder nicht. Es erscheint vielleicht überraschend,

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