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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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aber je mehr Streichungen und Randnotizen in der Partitur sind, umso wertvoller ist sie für einen Musikliebhaber. Denn auf diese Weise hat er nicht nur Zugang zu der Musik, sondern auch zu den geistigen Prozessen des Genies.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie richtig verstehe.« »Es gibt zum Beispiel ein Manuskript von Beethoven, das vor relativ kurzer Zeit aufgetaucht ist: das Arrangement der Großen Fuge für Klavier zu vier Händen, vom Kom ponisten selbst geschrieben. Es hat bei der Auktion einen exorbitanten Preis erzielt. Dieses Manuskript war 115 Jahre verschollen und wurde 2005 von einem Bibliothekar in Cincinnati entdeckt. Der Fund gilt als der bedeutendste der letzten Jahrzehnte, unter anderem wegen der gro ßen Anzahl an Korrekturen und Verbesserungen durch Beethovens Hand: Beethoven findet eine Lösung und schreibt sie auf, doch dann fällt ihm etwas Besseres ein, er streicht die erste Version durch und ersetzt sie durch die neuen Noten. So kann man seinen gesamten Denkprozess verfolgen bis zum Endergebnis, der großen Errungenschaft. Beethoven hatte das Stück eigentlich als Streichquartett komponiert, doch er wollte diese Fuge den Wienern zugänglich machen, die sie zu Hause spielen wollten, und er schrieb diesen Auszug für Klavier zu vier Händen. Man darf ja nicht vergessen, dass die einzige Möglichkeit, in jener Epoche ohne Radio und Grammophon zu Hause Musik zu hören, darin bestand, selbst zu spielen. Deshalb besaß im 19. Jahrhundert fast jeder Wiener Haushalt ein Klavier ...«
    »Das ist alles sehr interessant«, sagte der Gerichtsmediziner leicht erschöpft. »Haben Sie nun vor, nach Wien zu reisen, um noch mehr über das Manuskript herauszufinden?«
    »Erst einmal versuche ich, an eine Aufnahme von Thomas' Konzert zu gelangen oder an die Partitur, die er benutzt hat«, erklärte Paniagua und hielt das Blatt mit den Namen hoch, das ihm die Richterin in die Hand gedrückt hatte. »Halten Sie es für wahrscheinlich, dass der Mörder die Tätowierung schon entschlüsselt hat?« »Nein, eher nicht. Wenn es der Polizei mit ihren ausgefeilten Methoden nicht gelingt und Sie als Spezialist in dem Bereich auch noch nicht durchblicken, kann ich mir nicht vorstellen, dass der Verbrecher, oder die Verbrecher - wir k önnen nicht ausschließen, dass es eine organisierte Bande war -, uns voraus ist.« »Und was, wenn das doch so wäre?« »Dann werden wir ihn wohl kaum schnappen«, sagte der Gerichtsmediziner trübsinnig. »Dann ist er schon Tausende Kilometer weit weg und hat die Partitur an irgendeinen Sammler verkauft. Unsere einzige Hoffnung ist, dass der Mörder einen Fehler begeht, wenn er versucht, an den Schlüssel zum Code zu gelangen.« »Einen Fehler?«
    »Dass er versucht, an die Tochter heranzukommen, dass er zum Ort des Verbrechens zurückkehrt oder dass er sogar - in der Hoffnung, dort zu finden, was er so verzweifelt sucht - probiert, in Marañóns Haus einzusteigen. Wer weiß?«

40
    Don Jesus, hier ist ein Herr, der zu Ihnen m öchte. Er sagt, er sei vom Morddezernat.« »Führe ihn in die Bibliothek, Jaime«, wies ihn Marañón an.
    Der Sekret är des Magnaten ging Inspector Mateos voran. Der Kommissar blieb einige Minuten allein im Zimmer und musterte die vollgestopften Bücherregale. Mateos erschien es nur folgerichtig, dass es viele Bände über Architektur gab. Denn abgesehen davon, dass Marañón einen Großteil seines Vermögens mit Geschäften im Baugewerbe gemacht hatte, lag ja auch der Ursprung der Freimaurerei in den professionellen Vereinigungen der Erbauer von Kathedralen und anderen Tempeln des Mittelalters. Mateos erinnerte sich gelesen zu haben, dass erst mit dem Beginn der Neuzeit in den Logen nach und nach auch Männer Mitglied werden konnten, die nicht Maurer waren. Sie wurden »angenommene Maurer« genannt, waren Advokaten, Ärzte und so weiter. Die Rituale begannen damals, symbolischer zu werden.
    Als Marañón sich zu dem Polizisten gesellte, blätterte dieser gerade in einem modernen Klassiker - Architektur. Von der Kunst, daheim zu Hause zu sein -, in dem der Autor über die Eigenschaften schrieb, die jedes gute Bauwerk besitzen sollte.
    »Von all den Büchern hier ist das vielleicht mein liebstes, Inspector«, sagte Marañón. Mateos zuckte zusammen, da er mit dem Rücken zur Tür stand und ihn nicht hatte eintreten sehen.
    Ein energischer H ändedruck und ein kurzer, routinemäßiger Austausch über den Stand der Ermittlungen, dann wurde der Inspector

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