Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland
Säule der bundesdeutschen Außenpolitik – neben der West- und der Ostpolitik – zu etablieren, scheiterte der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Erhard Eppler (SPD) letztlich jedoch. Seit Mitte der 1970er Jahre dominierte ein pragmatischer Zug die Entwicklungshilfe. Sie entsprang nicht vorrangig der Menschenfreundlichkeit, sondern Geld floss dorthin, wo es deutschen Interessen diente. Wie die meisten Länder der Welt hat es die Bundesrepublik nie geschafft, den von der UNO 1970 geforderten Entwicklungshilfesatz von 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts zu erreichen. Der höchste Wert wurde 1979 mit 0,44 Prozent erreicht.
30. Wird Deutschland auch am Hindukusch verteidigt? Immer wieder einmal sagt ein Politiker etwas, womit er seine Zuhörer arg verblüfft. Anschließend merkt man, dass er damit eine komplizierte Sache anschaulich ausgedrückt hat. So verhält es sich mit dem Ausspruch des bundesdeutschen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD) aus dem Jahr 2002, wonach Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde. Am Hindukusch in Afghanistan? Tausende Kilometer von der Heimat entfernt? Außerhalb des NATO-Gebietes? Wir sind beim Kern angelangt: den Out-of-area-Einsätzen der Bundeswehr. Nach den Terrorangriffen gegen die USA am 11. September 2001sicherte Bundeskanzler Gerhard Schröder den Vereinigten Staaten die Solidarität der Bundesrepublik zu, was auch ein Engagement im Krieg gegen die afghanischen Taliban einschloss. Seit der Besetzung des Landes erhalten deutsche Truppen gemeinsam mit Alliierten aus verschiedenen Ländern den Frieden aufrecht und – in der Sprache Peter Strucks – verteidigen sie dort die Sicherheit Deutschlands gegen den internationalen Terrorismus.
Bis zur Wiedervereinigung hatte die BRD nicht direkt an Kriegen teilgenommen. Meist floss viel Geld – und andere kämpften. Diese «Scheckbuchdiplomatie» war seit den 1990er Jahren zu Ende; die Partner erwarteten jetzt mehr. Die Deutschen sollten sich aktiv beteiligen. 1992 nahm die Bundeswehr erstmals an einem Einsatz der UNO teil und entsandte Soldaten nach Kambodscha. Auch in den jugoslawischen Krieg griff sie im Rahmen der EU ein. Das Bundesverfassungsgericht stellte im Juli 1994 klar, dass Einsätze der Bundeswehr außerhalb des NATO-Territoriums mit dem Grundgesetz vereinbar seien, wenn sie der Erhaltung und Durchsetzung des Friedens dienen. Eine neue Qualität erhielten die Auslandseinsätze der Bundeswehr unter der rot-grünen Bundesregierung seit 1998 – ausgerechnet in einer Konstellation, als die GRÜNEN, die in erheblichen Teilen aus der Friedensbewegung hervorgingen, erstmals an einer Regierung im Bund beteiligt waren. Schwere Konflikte innerhalb der Partei und der Koalition blieben nicht aus, aber es war das Verdienst von Außenminister Joschka Fischer, dass Deutschland sich heute im Konzert der Staaten und Mächte beteiligt – und zwar nach Maßgabe seiner eigenen Interessen und seiner Geschichte. Und in diesem Sinne argumentierte auch Verteidigungsminister Struck. Jenseits von individueller Einschätzung und Kritik kann somit die Behauptung, Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt, durchaus ein deutsches Interesse ausdrücken.
«BRDDR» – Deutsch-deutsche Beziehungsgeflechte
31. Wann begann die Spaltung Deutschlands? Einen exakten Zeitpunkt kann man nicht angeben, denn es handelte sich um einen Prozess, der über verschiedene Stufen und Ereignisse ablief, sich dadurch beschleunigte und 1949 zur doppelten Staatsgründung von Bundesrepublik und DDR führte. Unter den Alliierten war während des Krieges umstritten, wie die Zukunft des Deutschen Reiches aussehen sollte. Würde es weiterhin einen Einheitsstaat geben oder würde das besiegte Land aufgesplittert werden? Sollte man dieses kriegerische Deutschland nicht ein für alle Mal ruhig stellen und in einen «Agrarstaat» verwandeln – so einer der radikalsten Entwürfe, der Morgenthau-Plan aus den USA? In welchen ordnungspolitischen und gesellschaftlichen Prägungen sollte Deutschland fortbestehen? Auf der Kriegskonferenz von Jalta im Februar 1945 einigten sich die Alliierten darauf, dass Deutschland in Besatzungszonen eingeteilt werden sollte. Sofort nach dem Krieg übernahmen die vier Siegermächte die Oberste Gewalt in Deutschland und verabschiedeten auf der Potsdamer Konferenz im Juli und August 1945 gemeinsame Prinzipien. Aber verstanden auch alle das Gleiche darunter? Bedeutete etwa «Demokratisierung» im
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